My Story - Streng geheim - Kein Kuss fuer Finn
versuchte, sich dabei vermutlich, seine - ziemlich geringen - Chancen auszurechnen, ihn zurückzubekommen. Während er noch nachdachte und immer wieder mal halbherzig in die Richtung zuckte, in die sein Rucksack gerade unterwegs war, kam einer der Jungs aus der Oberstufe vorbei. Er stoppte das Geschoss mit dem FuÃ, kickte es zu seinem röchelnden Eigentümer und ging ohne ein Wort weiter.
In den letzten beiden Stunden stand Sport auf dem Programm. Da ich meinen Stundenplan erst seit diesem Morgen kannte, hatte ich natürlich auch keine Sportsachen dabei. Früher nach Hause gehen durfte ich deshalb zwar nicht, aber immerhin musste ich nicht barfuà in meinen StraÃenklamotten mitmachen. Stattdessen wurde ich dazu verdonnert, die Geräte mit aufzubauen und dann auf der Bank zu sitzen.
Nach einer Weile fiel mir Finns Ordner wieder ein, und ich bat um Erlaubnis, die Unterlagen im Lehrerzimmer zu
kopieren. So entkam ich nicht nur der unbequemen Holzbank, sondern ersparte es mir gleichzeitig, den Ordner mit nach Hause und morgen früh wieder zurück zur Schule zu schleppen.
Als die Jungs später angezogen aus der Umkleidekabine kamen, passte ich Finn ab und drückte ihm seinen Ordner in die Hand.
Eigentlich wollte ich mich bedanken, doch plötzlich kam mir kein Wort mehr über die Lippen. Dieser Blick. Diese blauen Augen. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie verdammt süà er aussah - und das lähmte schlagartig meine Zunge. In meiner alten Welt hätte ich vermutlich schon nach den wenigen Worten, die wir miteinander gewechselt haben, hoffnungslos für ihn geschwärmt. Aber dies war nicht meine Welt und ich war hier auch nicht wirklich ich. Was in Einbeck gewesen wäre, zählte hier nicht mehr.
»Gern geschehen«, brummte er, als ich nichts sagte, und riss mich damit aus meinen finsteren Gedanken.
»Ãh ⦠ja«, stieà ich hervor. »Danke.« Dann machte ich kehrt und rannte fast schon fluchtartig aus dem Schulgebäude, auch wenn mir persönlich die Bezeichnung geordneter Rückzug besser gefiel. »Keine Freundschaften und schon gar keine Schwärmereien!«, rief ich mir ins Gedächtnis und machte mich mit so schnellen Schritten auf den Heimweg, dass mir gar nicht genug Luft blieb, um länger über Finn nachzudenken.
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Am Dienstag rief Jenny an, um sich zu erkundigen, wie es mir in der Schule ergangen war. Dass sie damit bis Dienstag gewartet hatte, versetzte mir einen Stich. Zu Hause hätte sie sofort am ersten Schultag angerufen - das erste Mal
vermutlich noch, bevor ich überhaupt zurück war und danach im 5-Minuten-Takt. Obwohl das an mir nagte, sagte ich nichts. Ebensowenig erwähnte eine von uns beiden das verunglückte Ende unseres letzten Gesprächs.
Trotz ihrer sichtlichen Neugierde lieà sie mir kaum Gelegenheit, mehr als zwei Sätze am Stück loszuwerden. Ständig unterbrach sie mich, was dann meistens mit den Worten »Oh, weiÃt du, was hier passiert ist?« oder »WeiÃt du, was der und der getan hat?« begann. Darauf folgte der neueste Klatsch aus der Schule oder der Clique. Seltsamerweise erschien mir alles unglaublich weit entfernt, als würde sie über Fremde sprechen, die mich nichts angingen. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass ich wieder zurückkam!
Erst als ich auf Finn zu sprechen kam, erhielt ich die Aufmerksamkeit, die ich eigentlich schon von Anfang an von ihr erwartet hatte. Ãber ihn wollte sie alles wissen. Entsprechend bombardierte sie mich mit einer endlosen Litanei an Fragen. Wie sah er aus? Was tat er, als ich dieses oder jenes sagte? Wie hat er mich angesehen?
Nachdem ich alle Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet und ihr alles haarklein erzählt hatte, meinte sie: »Ich glaube, der steht auf dich.«
Wohl kaum. »Ich glaube eher, der hält mich für eine Art Laborratte. Ein Versuchsobjekt, an dem er seine soziale Ader testen kann, oder so.«
»Blödsinn!«, rief Jenny energisch. »Der mag dich! Hier hattest du doch auch deine Verehrer. Warum sollte das in München anders sein?«
Seufzend sah ich zum Wandspiegel, aus dem mir ein dunkles Gespenst mit wirrem Haar und grünen Strähnen entgegenblickte. »Ich bin die Braut aus der Gruft - schon vergessen?«
»Oh«, tönte es ziemlich kleinlaut vom anderen Ende der Leitung. Jenny hatte tatsächlich nicht mehr an meinen Aufzug gedacht. Wie sollte sie
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