Myrddin
denen die Schule nicht mehr schmeckte.
Myrddin machte sich auch Gedanken um die Elfen und um seinen Stab. Was wäre, wenn ein anderer käme und sie fand? Die Vanyar hatten ihre Graumäntel nicht mehr. Sie würden hochfliegen und müssen abwarten, bis Palluck sie in der Bucht fand. Myrddin war plötzlich von den Launen eines Mannes abhängig geworden, für den er zunehmend Achtung empfand, den er jedoch kaum kannte. Hoffentlich würde Palluck nicht zuviel trinken, damit er noch seine Augen aufbekäme. Und wie sollte Myrddin den alten Mann dazu bewegen, noch einmal loszugehen, ohne den Eindruck zu erwecken, daß er auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte und wußte, was in der Bucht lag und auf ihn wartete? Was Myrddin an diesem Morgen lernte, war, daß Palluck ein kluger Mann sein mußte, den es aus irgendwelchen Gründen in diese Bucht verschlagen hatte, dem eine alte Frau und ein junges Mädchen Ehre erwiesen, und daß er nicht – wie er zuerst angenommen hatte – ein einfacher Säufer zu sein schien. Er besaß Intelligenz und Einfühlungsvermögen und hatte von einer Materie Kenntnis, die Myrddin vollkommen fremd war. Das waren die besten Voraussetzungen für einen guten Lehrer.
Myrddin wendete seinen Blick vom Tisch ab, an dem die beiden Menschen saßen, spürte seine Beine, seinen Körper und seine Müdigkeit dieser Welt. Er fragte sich, wer wohl Irene sei, wo sich Hörn befand und wie sich die Küste Schottlands verändert haben mochte. Myrddin versuchte sich in die neue Zeit und seine Umgebung hineinzudenken. Er versuchte sie in ihnen zu verzweigen. Er wollte mit ihnen verwachsen, damit er wissen würde, was er brach, bevor es gebrochen werden sollte. Er überlegte, ob Mathematik in der Neuen Welt wichtig sei und ob sie es deshalb so intensiv gemeinsam übten, oder ob es nur schwierig war und Brian kein helles Köpfchen besaß, sondern sich nur hinter zu kräftigen Schlagwörtern versteckte und so ihre Jungfräulichkeit beißend verteidigte.
Letztendlich war es ihm egal. Was er jedoch von Brian zu lernen gedachte, waren wenigstens die modernen Beschimpfungen, damit man sich notfalls die Menschen vom Leib halten konnte. Je frecher man war, desto besser konnte man sich schützen. Und eine Frau wie Brian hatte sich sicher gewaltig gegen die Jungen ihres Alters zu wehren, da sie etwas zu verlieren hatte, von dem die Jungs nur träumten. Und je schärfer Beleidigungen waren, desto eher hatte man seine Ruhe, wußte Myrddin. Er wollte für sich ein Register mit modischen Schimpfworten erarbeiten, bei dem Brian ihm helfen sollte, wenn sie das nächste Mal kam. Doch das gebot der Stunde war, daß er seine Beweglichkeit wieder herstellen mußte, bevor er Entscheidendes lernen konnte. Solange gab er sich Zeit, um dann nach Nothumberland aufzubrechen – nach Lindisfarne – zum Hart Fell, um dort auf die Gwyllons zu warten. Myrddin wollte nichts übereilen, aber seine Zeit sinnvoll nutzen.
Brian und Palluck hatten ihre gemeinsamen Studien beendet und Palluck war mit dem Mädchen sichtlich zufrieden. Sie kritzelte Formeln und Zeichen auf das Papier, übertrug Darstellung von Palluck in ihr Heft, daß sie zuvor aus ihrer Tasche geholt hatte, als er sich bereits Whisky eingoß und meinte, daß es für heute genug wäre. In Palluck war ein Leben erwacht, das er sonst unter der Robe schlichter Promille im Blut zu verbergen verstand. Brian stellte ihm noch einige Frage, die er zu beantworten wußte, notierte eifrig seine Äußerungen, schloß dann ihre Bücher und ihr Heft, steckte die Aufzeichnungen in ihren Ranzen, und als sie aufstand, bemerkte Myrddin ihre Zartheit, ihre Zerbrechlichkeit, ihr junges Erwachsenwerden und den unbändigen Trieb, ihr Leben unter allen Umständen meistern zu wollen. Er sah eine junge Frau und nicht das Mädchen. Er sah ihre körperliche Reife, die sicherlich Jungen ihres Alters überlegen war. Zu seiner Zeit – doch was war seine Zeit , dachte Myrddin schmerzlich – hätte man Brian in ihrem Alter bereits verheiratet, wäre sie eine Mutter geworden, wenn nicht bereits schon eine Mutter gewesen. Man hätte ihrer Jugend von ihr gerissen und sie gegen ungewollte Verantwortung ausgetauscht. War es der Neid der Alten auf die Jugend, daß sie sie zerstörten, überlegte er.
Palluck schien achtsam mit ihr umzugehen und vielleicht war es das, was sie an ihm mochte. Oder vielleicht kam sie auch nur zu Old Jerry, um ihn mit ihrem Antlitz zu erfreuen – ihn zu reizen und ihn gleichzeitig
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