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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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auftreten sollte.
    Die Enttäuschung war groß und man hielt mittlerweile die Kritik in der Zeitung für einen Scherz – für eine Satire, eine ironische Persiflage, die sie nicht richtig verstanden zu haben schienen. Sie fühlten sich bloßgestellt und angegriffen und meinten, der Schreiberling des Artikels würde unter ihnen sitzen, um sie zu verspotten. Dennoch hatte es immer wieder Neugierige gegeben, die die ersten Vorstellungen füllten.
    Am Abend des Sonntags drängelten sich die Menschen zur Abschlußvorstellung an der Abendkasse, da der Zirkus keinen eigentlichen Kartenvorverkauf organisiert hatte. Eine Schlange von etwa dreihundert Menschen wollte trotz der bisher enttäuschenden Eindrücke Ganymed sehen, dem außergewöhnliche Talente bescheinigt worden waren.
    Während der gesamten Zeit war Myrddin seiner Arbeit nachgekommen, hatte die Tiere gefüttert, sich mit Raimann über die Idiome der englischen Sprache unterhalten, die Manege nach den Vorstellungen geharkt und Ganapathy nach des Rätsels Lösung gefragt – der einmal aus Ärger darüber, daß er die Lösung nicht wußte, erwidert hatte: Ach, wie gut, daß niemand weiß, das ich Rumpelstilzchen heiß … und Myrddin hatte über den Reim gelacht, obwohl der den Sinn des Verses und das Märchen nicht kannte. Es war für Ganapathy nicht möglich, das gesehene Kunstwerk in Worte zu fassen, es zu begreifen oder sagen zu können, was es gewesen sei, obwohl Myrddin nicht müde wurde, ihm zu versichern, daß es dafür eine logische Erklärung gebe, was er aber nicht länger glauben konnte.
    So war der Abend gekommen, an dem Ganapathy Myrddin schminken mußte, ihm seine eigene Maske auf das Gesicht legte, die ihm die Undurchdringlichkeit einer Pantomime verlieh, ihm sein Kostüm gab, die Zuschauer in Scharen kommen sah und nicht glauben konnte, was er tat. Es gab einen Wolfs- und Hirschhalter, der um Unterkunft und Futter für seine Tiere gebettelt hatte und dem er jetzt sein Kostüm, seine Maske, seinen Namen und seine Welt vermachte? Verschenkte er damit nicht auch seine Weltanschauung? Er gab Myrddin das, was ihn selbst über Jahre hinweg befreit hatte, das Ganymed hieß – und er zeichnete ihm dieselben Augen in das Gesicht? In das Gesicht eines Fremden? Er hatte seinen Namen verschenkt und hatte sich wegen eines Tricks verkaufen lassen. Und Myrddin war nicht bereit, ihn seines Wortes zu entbinden. Doch weshalb ließ er sich das gefallen? Sie waren doch nicht im Mittelalter, dachte Ganapathy.
    Was wie ein Spiel angefangen hatte, lastete nun wie ein Fluch auf dem Clown, und Myrddin lächelte. Er wußte, was er tat, auch wenn Hörn es sicherlich nicht gutheißen würde.
    Niemand in dem Ensemble ahnte den Rollentausch, und Myrddin hatte darum gebeten, daß sich Ganapathy die Vorstellung ansehen sollte, damit man sich anschließend darüber unterhalten könnte. Jedoch sollte er vor Myrddins Auftrittsende in den Wohnwagen gehen, seine Maske auflegen, und man würde für die Öffentlichkeit wieder in die eigene Haut schlüpfen.
    Ganapathy war hin- und hergerissen zwischen Zweifeln, einem verteufelten Spiel, dem bewußten Betrügen des Publikums, der Hochachtung vor dem alten Puppenspieler, und er war von dem Mut beeindruckt, sich selbst, den Clown Ganymed und den Zirkus lächerlich zu machen. Er warnte Myrddin, das Publikum nicht zu beschmutzen, seinen Namen nicht in den Dreck zu ziehen, der Verantwortung gerecht zu werden, und der Reden waren viele, die die Angst Ganapathys offenlegten, der jetzt den bitteren Ernst der Abmachung zwischen ihm und Myrddin zu erleiden hatte.
    Das Publikum war längst im Zelt, als der Zirkuszwerg Kippenhahn seine Ponys über die Manegenspäne trieb und Myrddins Auftritt unmittelbar bevorstand. Es hatte keine Beleuchtungsabsprachen mit Raimann gegeben und niemand wußte, was sich Ganapathy ausgedacht haben mochte. Sie glaubten, er würde mit seiner alten Nummer auftreten, mit der er in Bolton Erfolg gehabt hatte, obwohl es nicht nur sein Verdienst gewesen war.
    Ganapathy, die Wölfe und Myrddin liefen über den leeren Platz. Das Publikum fühlte sich in seiner Kritikfähigkeit unterschätzt und maulte ungeduldig über die Ponys, die von Kippenhahn mit einer Peitsche durch das Zelt gejagt wurden. Dann endlich verneigte sich der Dompteur, der seinem kläglichen Beifall gerecht geworden war, und ein schnauzbärtiger Shenann nahm sein Mikrophon, als die Ponys herausgaloppiert kamen.
    „Wie willst du auftreten? Hast du überhaupt

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