Myrddin
drückte er auf die Rippen der rechten Seite des Brustkorbes von dem Wolf. Sie waren nicht gebrochen, doch verursachten sie Carus einen stechenden Schmerz. Und dann gab es die offene, tiefe Fleischwunde, die stark blutete und sein Fell verschmiert hatte.
Die Wölfe standen um Carus und Merlin herum. Hörn hielt sich im Hintergrund.
Der Eisbär hatte seine scharfe Klauenpranke unterhalb des Brustbeins von Carus in den weichen Bauch geschlagen und ihn vier Handbreit weit aufgeschlitzt.
Als Merlin die Wunde berührte, jaulte Carus auf, warf seinen Kopf zur Abwehr hoch, wollte Merlins Hand in sein Maul nehmen, doch ließ er seinen Kopf wieder zurückfallen. Dann blinzelte er in die Augen seiner Wolfssippe, die um ihn herumlag, bevor er das Bewußtsein verlor.
„Eine schlimme Fleischwunde …“, sagte Merlin, und niemand wollte ihm so recht glauben, als er hinzufügte, daß Carus in wenigen Tagen wieder der Alte sein würde. Die Wölfe glaubten vielmehr, sie würden Carus den letzten Dienst erweisen und noch in dieser Nacht seinen Geist aufsteigen sehen. Merlin jedoch fügte lachend hinzu: „Du bist heute Nacht nicht nur klüger geworden, sondern wirst bis an das Ende deiner Tage das Wetter fühlen können wie nur einer, den eine solche Narbe ziert, wie du sie auf dem Bauch haben wirst.“
Der kräuterkundige Merlin ging zu seinem Boot, holte einige trockene Pflanzen, erwärmte Schnee in seinen Händen und knetete ein Kraut in das Tauwasser. Dann biß er in eine Wurzel und zerkaute sie im Mund. Interessiert schauten die Wölfe ihm zu und erkannten den Geruch des Krautes, das er befeuchtet hatte und in einer Hand knetete: es war Wolfsgelegena oder Wolferlei. In früheren Jahren hatten die Menschen die Wurzeln dieser Pflanzen als Giftköder für die Wölfe ausgelegt, und Melchor wurde durch diesen Geruch instinktiv alarmiert, da er dem großen Gedächtnis seiner Ahnen folgte, als Merlin zu erklären begann, was er tat – so als wäre er von Assistenzärzten und Medizinstudenten umgeben.
„Melchor, du hast recht. Deine Nase täuscht dich nicht. Ich habe hier wirklich die Arnica montana , die gute Arnica, die ihr in schlechter Erinnerung haben werdet. Doch zu Unrecht … und die Menschen haben sie als bedeutende Droge vergessen“, und kauernd erzählte er weiter, daß er Carus die Arnika in sein Maul schieben werde, denn wahrhaft sollte es nichts Besseres für ihn geben. Die Pflanze besäße ätherische Öle, Kautschuk und Kieselsäure sowie Harze, Wachs und Apfelsäure. Bitter und einige Gerbstoffe würden Carus Übelkeit verursachen, doch gleichzeitig seine Durchblutung fördern und eventuelle Blutansammlungen ausspülen. Anschließend werde die Arnika sein Nervensystem anregen und sein Fieber senken, das nach solchen Verletzungen selbstverständlich auftreten würde.
„Außerdem wird sie seine Lähmungserscheinungen verhindern. Deshalb streiche ich meine feuchte Hand in seinem Fell ab und massiere sie in seine Haut ein. In dieser kleinen Flasche habe ich noch etwas Alkohol – ebenfalls eine Arnika-Tinktur. Man sollte sich also ohne Arnika niemals auf Reisen machen. Die Tinktur reibe ich auf seine Wunde, da sie entzündungshemmend wirkt und narbenbildend ist.“ Dann nahm Merlin den Arnika-Brei heraus, den er Carus ins Maul gesteckt hatte, und spuckte einen anderen Brei aus seinem Mund hinein, den er die ganze Zeit gekaut hatte. „Was für euch ausgesehen haben mag wie eine Wurzel, ist in Wirklichkeit ein Pilz, den ich für Carus zerkaute. Er wird ihn morgen den Schmerz vergessen lassen. Es ist ein Halluzinogen, das ihn ein wenige phantasieren läßt. Doch übermorgen wird er schon wieder auf den Beinen sein. Jetzt werde ich noch seine Wunde zunähen, das Blut mit Schnee aus dem Fell waschen … und fertig sind wir …“
Die Wölfe folgten gebannt seinen Bewegungen und Merlin tat, was er angekündigt hatte. Danach hob er Carus vorsichtig in sein Boot, legte ihn auf die weichen Felle, öffnete einen Sack, holte Trockenobst heraus und lief zu dem Eisbären, der immer noch besinnungslos auf dem Eis lag. Atem kräuselte sich aus seiner Nase und seine Zähne blickten durch die offenen Lefzen.
Merlin legte die trockenen Früchte vor ihm auf das Eis und lief einmal um ihn herum.
„Du solltest diese Nacht nicht vergessen, Nanok … und ich: ich heiße Merlin“, sagte der Zauberer, mit sich zufrieden. Dann ging er zu Hörn und den Wölfen zurück. „Laßt uns aufbrechen. Wir haben genug erlebt und ich möchte
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