Myrddin
Bericht hinzu und bestätigte alle Aussagen von Akita.
Melchor wußte, wie präzise Samael berichten konnte, und hegte nicht den geringsten Zweifel an seiner Darstellung. Dann trat er die Mitte der Tiere, wie es ein guter Wolfsführer tat, wenn er sich seine Meinung gebildet und eine Entscheidung gefällt hatte, die das Rudel betraf, und sprach:
„Akita, du hast uns sehr stolz auf dich gemacht und trotz deiner Jugend sollst du in unserer Familie Ehre erfahren, wie sie sonst nur die Alten erhalten. Du darfst dir, solange du mit uns sein wirst, den Vater deiner Kinder selbst aussuchen – und das verfüge ich, Melchor, Sohn des Haakon über alle Zeiten. Und unsere Familie wird es erfahren, sobald wir mit ihr sind“, fügte er feierlich hinzu und neigte seinen Kopf vor Akita.
Die anderen Wölfe taten es ihm gleich, nachdem sie seine Worte gehört hatten. Und Akita war sprachlos vor Glück. Mußte sie sich eben noch eines Verrates ihrer Art verteidigen, den sie nicht begangen hatte, widerfuhr ihr Augenblicke später die größte Ehre ihrer Sippe.
Merlin, der die Zeremonie nicht unterbrechen wollte, räusperte sich und Hörn brachte der jungen Wölfin auf seine Weise Glückwünsche, die sie sehr gerne entgegennahm. Melchor erklärte seine Auszeichnung für Akita damit, daß er sich nicht für alle Wölfe verbürgen würde, in einer ähnlichen Situation das Wohl der Gemeinschaft so zu schützen, wie sie es getan hatte.
Merlin dachte kurz an die Menschen, an ihre Moral, an ihre Treue und ihr Verhalten und entdeckte Ähnlichkeiten, die er aber für sich behielt. Damit war Akita eine auserlesene Wölfin mit dem großen Vorrecht, sich jedem zu verweigern, auch wenn sein Stand ihre Ergebenheit hätte fordern können – und damit würde sie gleichzeitig gegen alle Angriffe anderer Wölfe durch ihre gesamte Familie geschützt werden, was bei einer Wölfin ihre Alters sehr selten vorkam. Oft geschah es, daß Wölfe anderer Rudel Wölfinnen einfach begehrten, ihnen hinterhältig auflauerten und sie überfielen, bevor sie sie mit sich nahmen. Das jedoch sollte vom heutigen Tage an Akita ein Leben lang erspart bleiben. Sie hatte eine Familie, sie hatte eine Heimat und sie durfte sich von nun an frei entscheiden.
Danach waren alle Wölfe begierig zu wissen, wie es Merlin gelungen war, einen Zauber über sie zu bringen, den sie nicht gespürt hatten. Wie konnte er sie in Rentiere verwandelt haben, während sie sich selbst als Wölfe neben Hörn hatten liegen sehen? Oder hatte er die Menschen verzaubert? Es war für sie von großer Bedeutung, da sie von ihm vielleicht lernen konnten, sich vor den Augen der Menschen in andere Tiere zu verwandeln. Das wäre dann ja so, als würde man unsichtbar werden können, dachte Carus.
Falls Merlin ihnen diesen Trick verraten würde, wären sie uneingeschränkte, friedliche Herrscher über ganz Nordeuropa. Und sie hätten endlich die Ruhe zum Leben, die ihrer wahren Natur entsprach. Die Verfolgung durch den Menschen und ihre Angst hätten endlich ein Ende. Sie bräuchten sich nicht länger ihrer Pelze zu fürchten, die ihnen manchmal wie ein Fluch erschienen. Doch Merlin lachte über die Grauwölfe nur und wußte nicht, worin sie einen Zauber gesehen haben wollten.
„Wahrer Zauber ist etwas ganz anderes. Zauber hat etwas mit Allmacht zu tun.“
„Aber diese Allmacht haben wir gesehen, o Merlin“, versicherte Samael, um Merlins Geheimnis zu erfahren.
„Nein. Ihr könnt sie nicht gesehen haben, weil es keinen Zauber gegeben hat. Ihr habt nur Menschen gesehen, die euch nicht als Wölfe erkannt haben. Das ist alles“, meinte er lachend.
„Aber wie kam es, daß sie uns Wölfen – ihren angeborenen Erzfeinden, wie sie glauben – nachstellten, doch als sie uns eingeholt hatten, uns nicht mehr als Wölfe erkennen konnten, o Merlin?“ fragte Melchor geduldig, da er hoffte, Merlin würde ihnen dieses so große Geheimnis aufschlüsseln.
„Genügt es euch nicht als Rätsel an und für sich?“
„O Merlin, du weißt, daß wir selten fragen und daß unsere Art Anstand gebietet. Doch diese Verwandlungsgabe kann von entscheidender Bedeutung für uns sein. Sie könnte meine Familie und mich schützen“, sagte Melchor traurig, da er sich des Eingeständnisses schämte, nicht die Kraft zu besitzen, in wirklichen Notlagen sein Rudel vor Unglück zu bewahren. Und das größte Unglück der Wölfe waren die Menschen.
„Melchor, du willst mir Sachen entlocken, obwohl wir lieber über unsere
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