Myron Bolitar 03 - Der Insider
Myron absolut keine Erklärung hatte. Emily hatte etwas von Liz Gormans Blut und die Mordwaffe in Gregs Haus geschmuggelt. Das hatte sie zugegeben, und es war auch plausibel. Er wusste also, wer das Beweismaterial ins Haus gebracht hatte ...
... aber wer hatte das Blut wieder weggewischt?
Eigentlich gab es nur drei Möglichkeiten: 1. Greg Downing, 2. jemand, der Greg schützen wollte oder 3. der Mörder.
Aber Greg konnte es nicht gewesen sein. Auch wenn man die fast unmögliche Prämisse akzeptierte, dass Greg nach dem Untertauchen noch einmal in sein Haus zurückgekehrt war -wie hätte er das Blut finden sollen? War er rein zufällig in den Spielkeller der Kinder hinuntergegangen? Nein. Das war eine lächerliche Annahme. Greg wäre nur hinuntergegangen, wenn er gewusst hätte, dass das Blut dort war. Myron erstarrte.
Das war's. Derjenige, der das Blut beseitigt hatte, muss gewusst haben, was Emily getan hatte. Er war nicht einfach zufällig darauf gestoßen. Aber wie hatte er davon erfahren? Von Emily? Nein, auf keinen Fall. Emily hatte ganz bestimmt den Mund gehalten. Vielleicht hatte sie jemand beobachtet? Auch hier war die Antwort ein klares Nein. Dann hätte der Beobachter auch den Baseballschläger entfernt. Außerdem wäre das Blut sofort beseitigt worden - bevor Myron und Win es gesehen hatten. Das Timing der Putzaktion war entscheidend - sie war erst unternommen worden, nachdem Myron und Win von ihrer Entdeckung berichtet hatten. Das bedeutete, dass Myron und Win die undichte Stelle waren.
Wem hatten sie davon erzählt?
Wieder schien alles auf Clip zu deuten.
Er schlug die Route 3 ein und gelangte in den Bereich der Meadowlands-Sportstadien. Die Arena ragte vor ihm auf wie ein großes UFO auf einem weißen Landeplatz. Hatte Clip Arn-stein Liz Gorman ermordet und hinterher das Blut in Gregs Wohnung weggewischt? Myron drehte und wendete diese Möglichkeit im Kopf hin und her, sie gefiel ihm aber nicht. Wie war Clip in Gregs Haus gekommen? Es gab keinerlei Anzeichen für einen Einbruch. Hatte er das Schloss geknackt? Eher nicht. Hatte er einen Schlüssel? Eher nicht. Hatte er einen Profi angeheuert? Auch das war unwahrscheinlich. Clip hatte sich nicht einmal getraut, einen Privatdetektiv mit der Überprüfung von Gregs Kreditkarten zu betrauen, weil er fürchtete, dass es sich herumsprechen könnte. Wem würde er hinreichend vertrauen, um ihn das Blut einer Person aufwischen zu lassen, die er ermordet hatte?
Und noch etwas bereitete Myron Unbehagen, wie ein Stich mit einer scharfen stählernen Spitze: die Frauenkleider im Schlafzimmer. Auch die hatte jemand weggeräumt. Doch welches Interesse hätte Clip daran haben sollen, die Spuren einer heimlichen Geliebten zu beseitigen? Wer hatte daran überhaupt irgendein Interesse?
Die Szenarien kreisten in Myrons Kopf herum wie Gummienten in einem Whirlpool. Er konzentrierte sich wieder auf die geheimnisvolle Freundin. War das Fiona White gewesen? Sie sagte nichts, aber Myron war davon überzeugt, dass sie es nicht gewesen war. Wie hätte Fiona mit Greg zusammen leben und das vor einem so zwanghaft eifersüchtigen Mann wie Leon verbergen können? Vielleicht hatte es das eine oder andere Schäferstündchen zwischen Greg und Fiona gegeben - ein paar Stunden in einem Motelzimmer oder so -, aber nicht einmal das glaubte Myron noch. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr kam ihm die »Nacht voller unvorstellbarer Ekstase«-Mail wie eine Anmache vor, als die Konversation zweier vertrauter Liebhaber. Vielleicht war es doch die Wahrheit gewesen, als Greg Leon erklärt hatte, dass er nie mit der Frau eines anderen ins Bett gehen würde. Der Gedanke hauchte Myrons altem Schuldgefühl neues Leben ein.
Im Radio kam ein Werbespot. Ein sehr hipper Mann und eine sehr hippe Frau genossen ein Mokon's-Golden-Bier viel zu sehr. Sie sprachen mit leiser Stimme und lachten über die lahmen Witze des anderen. Myron schaltete es aus.
Er hatte immer noch mehr Fragen als Antworten. Aber als er zu seinem Handy griff, um Gregs Anrufbeantworter abzuhören, begannen seine Finger zu zittern. Etwas schnürte ihm die Brust zu, das Atmen fiel ihm schwer. Das Gefühl glich aber nicht im mindesten der Nervosität vor dem Spiel. Eigentlich war es das genaue Gegenteil.
36
Myron stürmte an Clips Sekretärin vorbei.
»Er ist nicht da«, rief sie.
Er ignorierte sie und öffnete die Tür zum Büro. Das Licht war aus, und der Raum war leer. Er drehte sich zu der Sekretärin um. »Wo ist
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