Myron Bolitar 03 - Der Insider
Myron.
Win zuckte die Achseln.
39
Esperanza war noch im Büro, als das Faxgerät piepte. Sie durchquerte den Raum und sah zu, wie das Gerät Papier auszuspucken begann. Das Fax war an sie adressiert und kam vom FBI:
Antwort: First City National Bank - Tucson, Arizona
Betreff: Halter der Bankschließfächer
Auf dieses Fax hatte sie den ganzen Tag gewartet.
Esperanzas Theorie sah etwa so aus: Die Raven Brigade hatte die Bank ausgeraubt. Sie hatten sich auch über die Bankschließfächer hergemacht. Darin bewahrten die Leute alles Mögliche auf. Geld, Schmuck, wichtige Papiere. Und hier kam das Timing ins Spiel. Offenbar hatte die Raven Brigade in einem dieser Schließfächer etwas gefunden, das Greg Downing schaden konnte. Dann hatten sie ihren kleinen Erpresserplan ausgebrütet.
Das Faxgerät spuckte die Namen in alphabetischer Reihenfolge aus. Esperanza las sie noch während das Papier aus dem Gerät kroch. Die erste Seite endete bei L. Ihr kam keiner der Namen bekannt vor. Die zweite Seite ging bis T. Wieder keine bekannten Namen. Bei den Ws auf der dritten Seite wäre sie vor Schreck fast umgefallen. Sie legte eine zitternde Hand vor den Mund, und einen Augenblick lang dachte sie, sie müsse schreien.
Es dauerte mehrere Stunden, bis sie etwas Licht ins Chaos gebracht hatten. Aussagen mussten aufgenommen, Erklärungen abgegeben werden. Myron erzählte Dimonte praktisch die ganze Geschichte. Er ließ allerdings das Video mit Klopfer und Emily aus. Das ging niemanden etwas an. Auch das Treffen mit Cole Whiteman erwähnte er nicht. Myron hatte irgendwie das Gefühl, dass er in seiner Schuld stand. Audrey machte gar keine Aussage, sondern verlangte nur, ihren Anwalt zu sprechen.
»Wissen Sie, wo Downing ist?«, fragte Dimonte.
»Ich glaube schon.«
»Aber Sie wollen's mir nicht sagen.«
Myron schüttelte den Kopf. »Es geht Sie nichts an.«
»Auch wieder wahr«, stimmte Dimonte ihm zu. »Los. Raus mit Ihnen.«
Sie waren in New York im Polizeipräsidium am Police Plaza. Myron und Win traten in die nächtliche Stadt hinaus. Große Verwaltungsgebäude bestimmten die Umgebung. Moderne Bürokratie in ihrer extremsten und furchteinflößendsten Form.
Sogar spät nachts konnte man sich noch vorstellen, wie Menschenschlangen aus der Tür strömten.
»Es war ein guter Plan«, sagte Win.
»Audrey ist schwanger.«
»Hab ich gehört.«
»Ihr Baby wird im Gefängnis zur Welt kommen.«
»Ist nicht deine Schuld.«
»Sie dachte, das wäre der einzige Ausweg«, sagte Myron.
Win nickte. »Sie hat einen Erpresser gesehen, der zwischen ihr und all ihren Plänen stand. Ich kann nicht mal genau sagen, ob ich mich in dieser Situation anders verhalten hätte.«
»Du begehst keine Morde, um dir die Unannehmlichkeiten des Lebens vom Hals zu halten«, sagte Myron.
Win widersprach nicht, stimmte ihm aber auch nicht zu. Sie gingen weiter. Als sie das Auto erreichten, sagte Win: »Und was steht jetzt noch an?«
»Clip Arnstein«, sagte Myron. »Er hat einiges zu erklären.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein. Ich will allein mit ihm reden.«
40
Als Myron die Arena erreichte, war das Spiel zu Ende. Autos verstopften die Ausfahrten, so dass man auch in der Gegenrichtung nur langsam vorankam. Es gelang Myron, sich durchzuschlängeln. Er zeigte dem Parkplatzwärter seinen Ausweis und parkte auf dem Spielerparkplatz.
Er lief zu Clips Büro. Jemand rief seinen Namen. Er kümmerte sich nicht darum. An der äußeren Bürotür drehte er den Türknauf. Die Tür war abgeschlossen. Er überlegte, ob er sie eintreten sollte.
»Yo, Myron.«
Es war einer der Handtuchjungen. Myron hatte seinen Namen vergessen. »Was gibt's?«, fragte er.
»Das ist für dich angekommen.«
Der Junge reichte Myron einen braunen Umschlag.
»Von wem ist das?«, fragte Myron.
»Von deinem Onkel.«
»Von meinem Onkel?«
»Hat er so gesagt.«
Myron betrachtete den Umschlag. Sein Name war in großen Druckbuchstaben darauf gekritzelt. Er riss ihn auf und drehte ihn um. Als Erstes fiel ein Brief heraus. Er schüttelte ein zweites Mal, und eine schwarze Kassette fiel ihm in die Hand. Er legte die Kassette hin und faltete den Brief auseinander.
Myron,
ich hätte Ihnen das schon an der Kathedrale geben müssen. Tut mir leid, dass ich's nicht getan habe, aber Liz' Ermordung hatte mich zu sehr beschäftigt. Sie sollten sich ganz auf die Suche nach dem Mörder konzentrieren, nicht auf die Kassette. Ich hatte Angst, sie würde Sie ablenken. Das glaube ich
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