Myron Bolitar 03 - Der Insider
abbekommen. Damit kam er klar. Beim Kopf war es anders. Heute Nacht würde er ein Paracetamol-Kodein Kombipräparat brauchen, morgen konnte er dann zu Ibuprofen übergehen. Bei einem Schädeltrauma konnte man nur gegen den Schmerz vorgehen und abwarten.
Jessica öffnete ihm im Bademantel die Tür. Er war etwas kurzatmig, aber das war häufig so, wenn er mit ihr zusammen war. Sie sparte sich Ermahnungen, ließ ein Bad einlaufen, half ihm beim Entkleiden und krabbelte hinter ihm in die Wanne. Das Wasser fühlte sich gut an. Als sie ihm ein feuchtes Handtuch um den Kopf wickelte, lehnte er sich an sie und stieß einen tiefen, zufriedenen Seufzer aus.
»Hast du auch noch eine Ausbildung als Krankenschwester gemacht?«, fragte er.
Jessica küsste ihn von hinten auf die Wange. »Geht's dir wieder besser?«
»Ja, Frau Doktor. Viel besser.«
»Erzählst du mir, was passiert ist?«
Er erzählte. Sie hörte zu, während sie sanft seine Schläfen massierte. Ihre Berührung war beruhigend. Myron überlegte, was es im Leben Besseres gab, als mit der Frau, die er liebte, in der Wanne zu sitzen, aber ihm wollte beim besten Willen nichts einfallen. Der Schmerz fing langsam an nachzulassen.
»Und wer sind die deiner Meinung nach gewesen?«, fragte sie.
»Keine Ahnung«, sagte Myron. »Wahrscheinlich wurden sie einfach dafür bezahlt, mich zu verprügeln.«
»Und sie wollten wissen, wo Greg ist?«
»Scheint so.«
»Wenn zwei solche Schläger hinter mir her wären«, sagte sie, »würde ich wohl auch untertauchen.«
Das hatte Myron auch schon gedacht. »Ja.«
»Und was hast du jetzt vor?«
Er lächelte und schloss die Augen. »Was? Hältst du mir jetzt keinen Vortrag? Muss ich mir nicht anhören, dass das zu gefährlich ist?«
»Das wate zu klischeehaft«, sagte sie. »Außerdem steckt noch mehr dahinter.«
»Was meinst du damit?«
»Da ist noch irgendwas an der Sache dran, von dem du mir nichts erzählst.«
»Ich ...«
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Sag mir einfach, was du als Nächstes vorhast.«
Er lehnte sich wieder zurück. Beängstigend, wie leicht es ihr fiel, seine Gedanken zu lesen.
»Ich muss mit Leuten reden.«
»Mit wem zum Beispiel?«
»Mit seinem Agenten. Seinem Mitbewohner Leon White. Mit Emily.«
»Emily. Ist das deine alte Freundin von der Uni?«
»Mhm«, antwortete Myron. Schnell das Thema wechseln, bevor sie wieder seine Gedanken las. »Wie ist es mit Audrey gelaufen?«
»Gut. Wir haben fast die ganze Zeit über dich gesprochen.«
»Und was ist mit mir?«
Jessica begann, seine Brust zu streicheln. Die Berührung war jetzt nicht mehr bloß beruhigend. Ihre Fingerspitzen liebkosten seine Brust mit federleichten Berührungen. Sanft. Zu sanft. Sie spielte auf ihm wie Perlman auf einer Geige.
»Oh, Jess.«
Sie beruhigte ihn. Ihre Stimme war sanft. »Dein Arsch«, sagte sie.
»Mein Arsch?«
»Jepp, darüber haben wir uns lange unterhalten.« Sie verdeutlichte ihre Worte, indem sie mit der Hand eine Backe formte. »Selbst Audrey musste zugeben, dass er lecker aussah, als du da auf dem Feld auf und ab gelaufen bist.«
»Ich habe auch noch einen Kopf«, sagte Myron. »Ein Gehirn. Gefühle.«
Sie beugte ihren Mund zu seinem Ohr. Als ihre Lippen das Ohrläppchen berührten, durchzuckte ihn ein Schauer. »Wen interessiert das schon?«
»Ah, Jess...«
»Psst«, sagte sie, als ihre andere Hand an seiner Brust herunterglitt.
»Ich bin hier der Arzt, schon vergessen?«
9
Das Klingeln des Telefons schabte an den Nervenenden in seinem Hinterkopf. Myron blinzelte. Sonnenstrahlen stachen durch den Spalt zwischen den Vorhängen. Er suchte das Bett neben sich ab - erst mit den Händen, dann mit den Augen. Jessica war nicht da. Das Telefon schrillte weiter. Myron griff zum Hörer.
»Hallo.«
»Da steckst du also.«
Er schloss die Augen. Die Schmerzen in seinem Kopf verzehnfachten sich. »Hi, Mom.«
»Schläfst du nicht mehr zu Hause?«
Sein Zuhause war der Keller seines Elternhauses, des Hauses, in dem er aufgewachsen war. In letzter Zeit blieb er aber immer öfter über Nacht bei Jessica. Wahrscheinlich war das auch gut so. Er war zweiunddreißig Jahre alt, einigermaßen normal und hatte eine Menge Geld. Es gab keinen nachvollziehbaren Grund, warum er immer noch bei Mommy und Daddy wohnen sollte.
»Wie gefällt's Euch in Europa?«, fragte er. Seine Eltern hatten eine Pauschalreise gebucht. Eine von diesen Bustouren, bei denen man zwölf Städte in vier Tagen
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