Mystery Thriller Band 224
achtete gar nicht darauf. Alles, woran sie denken konnte, war das Telefon in ihrem Büro.
Mit ausgreifenden Schritten durchquerte sie die große Eingangshalle und hastete, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Das Mobilteil des Telefons lag auf ihrem Schreibtisch „Komm schon, komm schon, komm schon!“, murmelte sie ungeduldig, nachdem sie die Notrufnummer eingetippt hatte. „Das kann doch nicht so lange dauern!“ Endlich meldete sich am anderen Ende der Leitung jemand. „Ja!“, rief Daphne. „Wir brauchen Hilfe, jemand ist mit einem Pfeil angeschossen worden und …“
Ein leises Knarren hinter ihr ließ sie sich umdrehen. Sie war noch halb in der Bewegung, als sie sah, wie etwas auf sie zugeflogen kam. Instinktiv versuchte sie noch, auszuweichen, doch es war zu spät. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihren Schädel, und sie fühlte ihre Knie unter sich nachgeben.
Dann wurde es dunkel um sie herum.
Als Daphne wieder erwachte, befand sie sich in einem seltsamen Raum – seltsam deshalb, weil der Boden aussah, als hätte sich eine ganze Armee von Maulwürfen darin ans Werk gemacht. Überall klafften Löcher, und an aus grobem Mauerwerk bestehenden Wänden türmten sich meterhoch Steine und Schutt. Es war still und kalt. Und abgesehen vom Licht einer einzelnen Glühbirne, die von der Decke des Raumes herabhing, war es dunkel.
Was war das hier? Und wie war sie hier gelandet?
Die zweite Frage war ziemlich leicht zu beantworten – dazu musste sie lediglich ihren Hinterkopf mit der flachen Hand abtasten. Der Schmerz, der durch ihren Schädel zuckte, ließ es ihr für einen Moment schwarz vor Augen werden.
Sie richtete sich auf – oder besser, sie versuchte es. Erst jetzt merkte sie, dass ihr linkes Handgelenk mit einer Handschelle an ein Heizungsrohr gekettet war. Sie stöhnte auf. Was ging hier eigentlich vor?
„Hallo?“, rief sie, und ihre Worte wurden als Echo von den nackten Wänden zurückgeworfen. „Hallo, ist da jemand? Hilfe!“
„Du kannst schreien, so viel du willst, liebe Daphne – hier unten hört dich niemand.“
Daphne zuckte zusammen, als sie die Stimme vernahm. Sie erkannte sie sofort, wollte es aber noch nicht wirklich wahrhaben. Nein, das war doch nicht möglich! Die Person, die sie niedergeschlagen hatte und die vermutlich auch für all den Ärger verantwortlich war, mit dem sie seit ihrer Ankunft in Deadman’s zu kämpfen hatte, war niemand anderes als … „Nina?“
„Hast du’s endlich auch kapiert, ja? Wurde aber auch Zeit!“ Nina, die einen Arbeitsoverall und schwere Schuhe trug, grinste gehässig. „Du hast tatsächlich geglaubt, dass dieser Schwachkopf Louis dahintersteckt, was? Als ob der dazu in der Lage wäre, sich so einen genialen Plan auszudenken – ich bitte dich!“
„Genial?“ Daphne schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was daran genial sein soll, anderen Menschen das Leben zur Hölle zu machen! Lieber Himmel, was habe ich dir denn getan? Wir kannten uns doch bis vor Kurzem überhaupt nicht!“
„Du raffst es immer noch nicht, was?“ Nina schüttelte den Kopf. Von ihrem sonst so einnehmenden Lächeln war jetzt nichts zu erkennen. Stattdessen wirkten ihre Gesichtszüge verhärtet, fast wie in Stein gemeißelt, und ihre Augen hatten den beängstigenden Glanz einer Irren angenommen. „Hier geht es nicht um dich und auch nicht um deine bescheuerten Freunde!“
Daphne verstand nicht. „Aber … was dann? Warum hast du das alles getan?“
„Ganz einfach: Ihr seid mir im Weg gewesen bei etwas, das ich erledigen muss.“
„Etwas, das du erledigen musst?“, entgegnete Daphne fassungslos. „Und dieses Etwas war so wichtig, dass du es dafür riskierst, anderen Menschen zu schaden? Meine Güte, da draußen im Wald liegt ein schwerverletzter Junge!“
„Irrtum.“ Nina fuhr sich grinsend durch ihr flammendrotes Haar. „Ich war so frei, den Notruf für ihn zu alarmieren – allerdings erst, nachdem ich dich schlafen geschickt habe. Ich bin ja kein Unmensch, weißt du? Es geht mir nicht darum, jemanden zu töten. Ich will einfach nur bekommen, was mir zusteht.“
„Es geht dir nicht darum, jemanden zu töten?“ Daphne lachte hysterisch auf, als sie daran dachte, was offenbar alles auf Ninas Konto ging. „Die Sache mit dem Kronleuchter, das warst du doch, oder? Ich hätte dabei draufgehen können! Oder jeder andere, der zufällig gerade darunter gestanden hätte.“
Nina nickte.
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