Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
mein Gedächtnis löschen will – zum zweiten Mal. Und ich habe keine Chance zu fliehen.
Der Stuhl sieht aus, als würde er in eine andere, eine vergangene Zeit gehören. Er erinnert mich an den Abschöpf-Stuhl im Büro meines Vaters. Allerdings ist er breiter und hat oben dünne Metallspitzen sowie lange, dicke Armlehnen mit Riemen. Auch an der schwarzen Fußstütze sind Riemen befestigt. Die Rückenlehne ist so stark poliert, dass sie wie ein Spiegel glänzt. Ich blinzele und sehe darauf mein eigenes, angstverzerrtes Gesicht.
»Gefallen dir die Gemälde?« Thomas tritt ebenfalls herein. »Nur die besten für Daddys neues Büro. Das alte haben die Rebellen zerstört. Unsere Wohnung ebenfalls. Übrigens besten Dank dafür.«
Ich schaue genauer hin und stelle fest, dass die Gemälde mit mystischer Energie aufgeladen sind, genauso wie die in der Wohnung der Fosters. Die Farben verwirbeln wie in einem Bild von Renoir. Eines ist Van Gogh nachempfunden: Die grellen Farben und die raue Schönheit erinnern an seine Sternennacht . Das Dunkel des Himmels wechselt zum Blau des Nachmittags und wieder zurück, immer hin und her.
Die Wache auf meiner linken Seite verdreht mir den Arm – der Schmerz schießt mir den Hals hinauf. »Ja«, antworte ich. »Wunderschön.«
»Stell dir nur den Preis vor. Hunter könnte dir nicht ein einziges dieser Werke kaufen.« Thomas setzt sich auf die weiche Ledercouch und schlägt entspannt die Beine übereinander. »Wenigstens als Künstler taugen diese mystischen Missgeburten.«
Hinter ihm hängt ein pointilistisches Bild, das zu vibrieren scheint. Es erinnert an Van Goghs Caféterrasse am Abend , nur ist auf diesem Gemälde Tag, nicht Abend. Der Himmel ist hellblau, das Pflaster wird von der Sonne angestrahlt. Die Farben flimmern, als wehte ein leichter Wind.
»Du interessierst dich neuerdings für Kunst?«, frage ich, um ihn abzulenken.
Thomas verdreht die Augen. »Lass es. Du willst nur die Gehirnwäsche ein wenig aufschieben, indem du mich ablenkst.« Er steht auf und tippt ein paar Nummern auf einen Ziffernblock in der Wand. »Tja, tut mir leid. Ich werde dich jetzt tatsächlich an diesem vorsintflutlichen Stuhl festschnallen lassen und deine Erinnerungen löschen.«
Zwei Frauen in gestärkten Laborkitteln treten vor. Ihre gelblich fahle, beinahe durchschimmernde Haut und die grünen Schatten unter ihren Augen verraten, dass sie Mystikerinnen sind, deren Kraft abgeschöpft wurde.
Das beunruhigt mich. Warum sollte sich jetzt, da sich alles in Aufruhr befindet, noch jemand freiwillig dem barbarischen Willen der Fosters unterwerfen – oder der Macht der Roses?
Die Verräterinnen meiden den Blickkontakt mit mir. Die Wachen bringen mich zu dem Stuhl und schnallen mich fest.
Ich wehre mich – vergeblich. Die Lederriemen schneiden in die wunde Haut an meinen Knöcheln und Handgelenken. Eine der Mystikerinnen öffnet einen schwarzen Koffer, der Spritzen enthält, die mit bunten Flüssigkeiten gefüllt sind. Das alles erinnert mich fatal an die Praxis von Dr. May, wo das erste Mal meine Erinnerungen gelöscht wurden.
»Wie ich gehört habe, ist der Prozess schmerzhaft«, sagt Thomas. »Sehr schmerzhaft.«
Während er spricht, verabreicht mir eine der Mystikerinnen eine Injektion nach der anderen: rot, orange, gelb.
»Deshalb habe ich beschlossen zuzusehen«, fährt Thomas fort.
»Wie nett von dir«, bringe ich noch hervor, ehe mich die andere Mystikerin mit einem Mundschutz zum Schweigen bringt. Dann wird mir etwas auf den Kopf gelegt und ich spüre einen fürchterlichen Druck auf den Schläfen.
»Denn leider habe auch ich einiges von dir erdulden müssen.« Thomas grinst fies. »Ich habe um deine Hand angehalten. Und du hast mich abgewiesen, als ob du dich für etwas Besseres hieltest.«
Natürlich bin ich zu gut für dich!, will ich sagen, aber der Mundschutz hindert mich daran.
Ich zerre an den Riemen, während meine Arme von den Spritzen anschwellen. Meinen Kopf und meinen Hals kann ich nicht mehr bewegen, und ich bin gezwungen, eines der verfluchten Gemälde anzustarren. Am liebsten würde ich aufspringen und es von der Wand reißen.
»Wir sind fast so weit «, sagt eine der Mystikerinnen.
»Gut, gut«, antwortet Thomas. Er wendet sich an die Wachen in den silbernen Uniformen. »Das wäre im Moment alles. Sie können wegtreten.« Die Schritte ihrer Stiefel hallen an den Wänden wider. Nun wendet Thomas seine Aufmerksamkeit erneut mir zu. »Bald wirst du ein neuer
Weitere Kostenlose Bücher