Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
Brummen, als mich die Sensoren vom Kopf bis zu den Zehenspitzen scannen, und die Erinnerungen an Hunter, den ich liebe, überfluten mich.
Als ich aus der Maschine komme, sehe ich als Erstes Turk, der die Stirn runzelt.
»Was ist los?«, frage ich.
Hunter blickt von dem TouchMe auf. »Du bist sauber. Kein Peilsender.«
»Aber … wie konnten mich Kyles Leute dann im Sanitätszentrum aufspüren? Und Thomas und seine Truppen auf der Farm?«
Hunter seufzt. »Ich habe keine Ahnung. Aber ich werde es herausfinden.«
»Und bis dahin müssen wir davon ausgehen, dass wir einen Verräter in unseren Reihen haben«, sagt Turk. »Und ihn finden.« Er sieht erst Hunter und dann mich an. Turk plötzlich so ernst zu erleben, ist ein Schock. »Kein Wort zu niemandem. Wenn der Verräter merkt, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind, kann er seine Spuren verwischen.«
»Einverstanden«, sagt Hunter.
Plötzlich beginnen meine Lider zu flattern, und ich merke, wie erschöpft ich bin. »Jungs, ich gehe nach oben und ruhe mich ein bisschen aus, okay?«
»Gut«, sagt Hunter, erhebt sich und nimmt mich in die Arme. »Ich liebe dich.«
In meinem Zimmer ziehe ich meine – nein, Shannons – Jeans und ihr Hemd aus und werfe beides auf einen Kleiderhaufen neben meinem Bett. Ich muss das Zeug dringend waschen , ermahne ich mich. Nur fürchte ich, es könnte dann jemand merken, dass ich gar nicht weiß, wie man eine Waschmaschine bedient.
Als ich gerade ins Bett krabbeln will, höre ich ein lautes Summen eines TouchMes. Ich blicke mich im Zimmer um. Es ist mein eigener TouchMe, der auf dem Schreibtisch. Aber wer bei den Horsten sollte mich hier anrufen?
Ich hole mir das Gerät und blicke auf den Bildschirm: Anruferdaten unterdrückt. Ich ziehe die Sperre zur Seite und nehme das Gespräch an. »Hallo?«
Schweigen in der Leitung. Dann höre ich ein Atmen.
»Wer ist da?«, frage ich.
Ein wohlbekannter Bariton sagt: »Hallo, kleine Schwester. Ich musste unbedingt mal wieder deine Stimme hören.«
10
Kyle. Vor lauter Überraschung fällt mir beinahe der TouchMe aus der Hand. Als ich meinen Bruder das letzte Mal gesehen habe, ist er auf Stic gewesen. Er hat ein Metallrohr in der Hand gehalten und es in der Mitte durchgebrochen wie einen morschen Ast. Stic verleiht übermenschliche Kräfte.
Hat Kyle seine Stic-Sucht inzwischen besiegt? Gut möglich, denn wenn er nicht absolut clean wäre, würde mein Vater ihn sicher nicht in der Öffentlichkeit auftreten lassen, damit er bei den Horstbewohnern um Unterstützung für die Roses wirbt. Vielleicht will mein Vater ihn damit aber auch einfach nur dafür belohnen, dass er mich ausspioniert und verraten hat.
Wenn man es genau betrachtet, müsste jemand wie Johnny Rose, der mit dem Verkauf von Stic auf dem Schwarzmarkt ein Vermögen gemacht hat, ein wenig toleranter gegenüber Mystikern sein. Schließlich ist ihre Energie die Grundlage seines Geschäfts. Unglücklicherweise ist das Gegenteil der Fall. Und Kyle scheint in die Fußstapfen unseres Vaters zu treten.
»Was willst du?«, frage ich.
»Begrüßt man so seinen älteren Bruder?«, fragt er zurück. Seine Stimme klingt so vertraut und macht mir doch Angst.
»Du hast Recht«, sage ich. »Die Frage hätte lauten müssen: ›Was willst du, du verlogener, mieser Junkie?‹ Ich lege jetzt auf.«
»Schluss mit den Spielchen, Schwesterherz. Du wirst nicht auflegen, das wissen wir beide. Dazu bist du doch viel zu neugierig.«
Stimmt.
Als Kinder waren Kyle und ich so gut wie unzertrennlich. Obwohl ich die Jüngere bin, war ich stets die Stärkere von uns beiden; wann immer irgendetwas schieflief, habe ich mich schützend vor ihn gestellt. Er hatte schreckliche Angst vor unseren Eltern, besonders vor unserem Vater.
Irgendwann haben wir angefangen, uns auseinanderzuleben. Nach der Highschool ist Kyle ein Jahr in der Weltgeschichte herumgereist, danach ist er aufs College gegangen. In letzter Zeit habe ich ihn nur deshalb ab und zu gesehen, weil er mit meiner besten Freundin Bennie zusammen ist. Ob er unseren Vater noch immer fürchtet, hat er mir nie verraten.
Seit Wochen habe ich nicht mehr mit Bennie und Kiki gesprochen, meinen besten Freundinnen. Bennie ist vermutlich wieder am College, aber ich habe keine Ahnung, was Kiki so treibt – ob sie noch in Manhattan ist oder vor dem College eine große Reise macht wie die meisten jungen Leute aus den Horsten. Ob sie noch mit mir reden würde? Ob sie noch etwas mit mir zu tun haben
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