Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
Wasser reichen. Diese markanten Wangen, die scharfe Linie seines Kinns, die blasse Narbe oberhalb der linken Augenbraue, die leicht schiefe Nase. Sein Gesicht ist mir so vertraut, dass ich es sogar mit geschlossenen Augen vor mir sehe.
Aber nun ist Hunter wie ein Fremder für mich. Ich liebe ihn so sehr. Warum stößt er mich wieder und wieder von sich?
»Das ist meine Pflicht«, fährt er fort. »Meine Mutter … Sie ist für mich gestorben.« Hunter ballt die Hände zu Fäusten. »Warum verstehst du das nicht, Aria? Wie kannst du nur so egoistisch sein?«
Seine Worte treffen mich wie eine Ohrfeige. »Aber ich verstehe dich doch! Zumindest gebe ich mir Mühe. Auch ich habe viel durchgemacht …«
»Mach dich nicht lächerlich«, faucht Hunter wütend. Seine Worte bohren sich wie Kugeln in mein Herz. »Du bist ein hübsches, reiches Mädchen aus den Horsten. Was war denn bisher so schwer in deinem Leben? Hast du einen Elternteil verloren? Nein. Meine Eltern sind beide tot. Also erzähl mir nicht, was du alles aufgegeben hast.«
»Wie kannst du so mit mir reden? Ich bin deine Freundin«, sage ich. »Ich kann dir helfen, wenn du mich lässt und diese Mauer einreißt, die du um dich herum errichtet hast.«
»Das reicht.« Hunter streckt mir abwehrend die Hände entgegen. »Ich bin müde. Und ich will darüber nicht mehr reden.«
»Wir sind aber noch nicht fertig.« Ich greife nach seinem Arm, aber er schüttelt mich ab.
»Lass das«, sagt er leise und sieht mich aus traurigen Augen an. Plötzlich wirkt er so zerbrechlich.
»Allein wirst du es nicht schaffen«, sage ich. »Du brauchst Hilfe.«
»Ach ja?«, entgegnet er scharf. »Ich brauche Hilfe? Von wem denn?«
»Von mir.« Was ist plötzlich mit meiner Stimme los? Ich bekomme kaum ein Wort heraus. »Von allen.«
Er lacht. »Auch von deinem Bruder und Thomas Foster? Soll ich mich deshalb mit ihnen treffen, ja? Damit sie mir helfen? Bin ich so mitleiderregend?«
»Hör auf mit dem Quatsch! Du sollst dich mit Kyle und Thomas treffen, damit diese Stadt wieder eine Zukunft hat.«
»Ach, vergiss doch endlich diese verfluchten Friedensverhandlungen!«, knurrt Hunter. »Du willst, dass ich dich in meine Pläne einweihe, ja? Also schön: Der einzige Grund, weshalb ich überhaupt zugestimmt habe, deinen Bruder zu treffen, ist, dass ich ihn umbringen werde.«
Was?
Plötzlich sieht Hunter ganz und gar nicht mehr wie ein Engel aus. Eher wie ein Dämon.
»Sag, dass das nicht wahr ist«, krächze ich.
»Es ist wahr«, erwidert Hunter und senkt die Stimme. »Meine Männer haben eine Bombe entwickelt, die jeden Menschen innerhalb eines Radius von einer Viertelmeile töten wird. Daran arbeiten wir, seit der Krieg angefangen hat. Ich war nicht sicher, ob wir sie jemals einsetzen würden, aber jetzt ist die perfekte Gelegenheit.« Er klingt kalt und grausam. »Findest du nicht?«
Ich kriege vor Entsetzen keinen Ton heraus.
»Bedauerlicherweise werden nur Mystiker immun gegen die Zerstörungskraft der Bombe sein, die Menschen, die auf unserer Seite stehen, werden es nicht überleben. Aber das ist der Preis, den wir zahlen müssen.«
»Wer weiß noch darüber Bescheid?«, frage ich. »Shannon? Turk?«
Er schüttelt den Kopf. »Nein. Ich durfte nicht riskieren, dass jemand versucht, mich davon abzubringen. Nur eine Handvoll Leute aus dem innersten Kreis wissen es, diejenigen, die schon meiner Mutter treu ergeben waren. Diejenigen, die von ihrem Tod ebenso erschüttert sind wie ich.« Sein Gesicht ist wutverzerrt, seine Wangen glühen. »Wir haben alles versucht, Aria. Mit Wahlen . Wir wollten ehrlich und anständig sein. Was für ein Scheiß! Was hat es uns gebracht?«
»Hunter, eine Bombe ist keine Lösung«, wende ich ein und versuche, das Beben in meiner Stimme zu unterdrücken. »Merkst du gar nicht, was mit dir los ist? Du bist total besessen! Willst du wirklich ein zweites Großes Feuer? Hast du etwa schon vergessen, dass es das Große Feuer war, das zur Abschöpfung der Mystiker geführt hat? Ich weiß, du glaubst, das Richtige zu tun, aber du irrst dich! Verdammt noch mal, was willst du der Welt eigentlich beweisen?«
Er presst die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. »Dass wir stark sind. Dass man uns nicht provozieren darf. Dass man uns nicht töten oder abschöpfen kann, nur weil man einen bestimmten Nachnamen hat und in den Horsten wohnt.« Hunter holt tief Luft. »Die Menschen dort oben werden erleben, wozu wir in der Lage sind. Und am Ende werden
Weitere Kostenlose Bücher