Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
»Sei nicht ungerecht zu dir selbst. Deine Kräfte sind …«
»… erbärmlich«, unterbricht er sie. »Ich bin niemandem eine Hilfe.« Er steht abrupt auf, schiebt dabei quietschend die Bank zurück und stürmt aus dem Zimmer.
»Armer Kerl!«, sagt Ryah leise.
»Aber fünfhundert Kilo schafft er definitiv nicht«, sagt Landon, verdreht die Augen und nestelt am Kragen seines gelben Polohemds herum. »Davon träumt er vielleicht.«
»Höchste Zeit, dass Jarek endlich erwachsen wird«, brummt Shannon. »Er führt sich auf wie ein bockiger kleiner Junge.«
Wie ich scheint auch Shannon nicht gerade eine Frühaufsteherin zu sein: Sie sitzt über ihren Kaffee gebeugt, das Gesicht hinter einem Vorhang aus Haaren versteckt, die pochierten Eier auf ihrem Teller hat sie nicht angerührt. Unter einem Kapuzenpullover lugt der Kragen ihrer schwarzen Trainingsjacke hervor.
»Er ist eben durcheinander«, sagt Ryah. »Lasst ihn in Ruhe.«
Shannon antwortet nicht, und Ryah wendet sich mir zu. »Geht’s dir nicht gut?«
»Hab schlecht geschlafen.«
Landon hüstelt. »Ich auch. Kein Wunder bei der Streiterei gestern Nacht.« Er fuchtelt mit der Gabel in meine Richtung. »Hat dir eigentlich niemand beigebracht, mal ein bisschen Rücksicht auf andere zu nehmen? Oder lassen sie euch in den Horsten immer so laut rumschreien?«
»Tut mir leid«, sage ich verlegen, weil man Hunter und mich offenbar bis in den dritten Stock gehört hat. Was Landon wohl mitbekommen hat? Sicherlich nichts von Hunters Plan, bei den Friedensverhandlungen eine Bombe zu zünden, sonst wäre er damit längst herausgeplatzt. Landon behält sonst ja auch keine Neuigkeit für sich.
»Nein, es tut dir überhaupt nicht leid!«, fährt mich Shannon an.
»Doch!«, fauche ich zurück.
»Mädels, jetzt kommt mal wieder runter«, schaltet sich Turk nun doch ein. An Landon gewandt sagt er: »Sei nicht so gemein.«
Landon fällt die Kinnlade herunter. »Ich bin nicht gemein. Ich kann es nur nicht leiden, wenn Leute meinen Schönheitsschlaf stören, weil sie mitten in der Nacht irgendwelchen Pärchenmist ausdiskutieren müssen.« Er schiebt seinen Teller zur Seite. »Oder ist das normal?«
»Ja«, erwidern Ryah und Turk gleichzeitig.
»Es tut mir leid«, wiederhole ich. »Kommt nicht noch mal vor.« Denn Hunter redet ja sowieso nicht mehr mit mir.
Ryah winkt ab. »Wir sind alle nervös wegen der Verhandlungen. Wie sie wohl ausgehen werden?«
Plötzlich herrscht Stille am Tisch. Offensichtlich bin ich die Einzige, die weiß, dass Hunter buchstäblich eine Bombe platzen lassen will.
»Ich hoffe jedenfalls, dass sie eine Lösung finden«, meint Ryah. »Dieser Krieg kann ja nicht ewig weitergehen.«
»Ach nein?« Shannon springt auf. »Friedensverhandlungen bringen jedenfalls gar nichts. Einen Krieg kann man nur auf eine Weise gewinnen: durch Kampf . Mit Waffen.«
Sie stürmt aus dem Zimmer, doch ihre Worte hängen noch im Raum.
Während sich die anderen wieder ihrem Frühstück zuwenden, frage ich mich, ob ich Turk – oder einem von den anderen – erzählen soll, was Hunter plant. Ich bin mir nicht sicher. Soll ich Kyle und Thomas warnen und Verrat an Hunter begehen?
Kyle und Thomas haben beide gesagt, mein Tod wäre ihnen lieber als mich auf der Seite der Rebellen zu sehen. Das bedeutet aber nicht, dass es falsch wäre, sie zu informieren. Wenn ich die Bombe geheim halte, lasse ich sie ins offene Messer laufen, und es wird ein zweites Großes Feuer geben. Wenn ich sie warne, torpediere ich die Pläne der Rebellen und die Friedensverhandlungen, die ich selbst mit organisiert habe.
Egal was ich tue, ich kann praktisch nur verlieren.
»Ich geh duschen«, sagt Landon und steht auf. Ryah stellt Teller und Besteck zusammen und bringt das Geschirr in die Küche. »Shannon und ich sind unten, trainieren«, ruft sie mir zu. »Sag Bescheid, wenn du irgendetwas brauchst.«
Und dann bin mit Turk allein.
»Alles in Ordnung?«, fragt er.
»Klar. Warum fragst du?«
Er zuckt mit den Schultern.
»Und bei dir?« , frage ich.
Wieder ein Schulterzucken. »Klar.« Dann zwinkert er. »Warum fragst du?«
»Hast du unseren Streit heute Nacht denn auch mitbekommen?«
Turk schüttelt den Kopf. »Ich habe einen festen Schlaf. Und, ging es richtig zur Sache?«
»So könnte man es ausdrücken«, sage ich leise. »Er ist wütend abgezogen und … ich fühle mich total mies.«
Turk zieht eine Augenbraue hoch. »Soll ich dich ein wenig ablenken?«
»Nein«, sage ich.
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