Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
Sie dafür bezahlen.«
Der Gondoliere lacht. Er zieht einmal an seiner Zigarette und dann noch einmal, ehe er ausatmet.
Schließlich wirft er die Zigarette ins Wasser und sieht mich an. »Donaldio.«
»Sie heißen Donaldio?«, frage ich.
Er schüttelt den Kopf.
»Okay. Jemand anders heißt so?«
Er nickt.
Nicht gerade gesprächig, der Mann, denke ich. »Sie kennen ihn?«
Er nickt wieder.
»Und er kann mir helfen?«
Der Gondoliere zuckt mit den Schultern. »Wenn es jemanden gibt, dann Donaldio. Er ist der älteste Seemann, den ich kenne.« Er deutet auf sein Boot. »Donaldio fährt Gondel, aber nur noch selten. Er lebt ziemlich zurückgezogen.« Der Gondoliere nimmt das Steuer in die Hand. »Ich bringe dich zu ihm.«
Ich sitze vorn und lasse mich durch die Tiefe schippern, vorbei an Wohnblocks und halb zerstörten Gebäuden mit vernagelten Fenstern und Türen. Es geht durch schmale Kanäle und unter Brücken hindurch, bis ich nicht mehr weiß, wo wir sind.
Das Wasser riecht nach Salz und Moder. Der Gondoliere steht hinter mir und sagt die ganze Zeit keinen Ton. Schließlich biegen wir in einen schmalen, dunklen Kanal ab, in dem zwei Boote gerade so aneinander vorbeifahren können.
Vor einer blauen Tür hält der Gondoliere an. »Zweimal klopfen«, sagt er. »Na los.«
Ich stehe vorsichtig auf, weil ich Angst habe, das Gleichgewicht zu verlieren. Wer ist dieser Donaldio? Kann ich ihm vertrauen? Ich beuge mich vor und klopfe an die Tür.
Zu spät für einen Rückzieher.
Ich will gerade erneut klopfen, als die Tür aufschwingt. Aber da steht niemand. Vor mir liegt ein dunkler Flur. »Warten Sie auf mich?«, frage ich den Gondoliere.
»Nein.«
»Was kostet es?«, frage ich. »Wenn Sie warten, meine ich.«
Er denkt kurz nach. »Fünf«, antwortet er und hält die Hand auf.
Ich habe doppelt so viel in meinem Beutel. »Zwei jetzt und drei nachher.«
»Abgemacht.« Ich gebe dem Gondoliere das Geld und er hilft mir aus dem Boot. Ich hole tief Luft und gehe ins Haus.
»Hallo?«, rufe ich, bekomme aber keine Antwort.
Weil ich im dunklen Flur nichts sehe, strecke ich die Hand aus und taste mich an der Wand entlang, um nicht zu stolpern. »Hallo? Ich bin Aria … Mir wurde gesagt, hier wohnt ein gewisser Donaldio?«
Ich Trottel, denke ich. Warum habe ich bloß meinen richtigen Namen gesagt? »Hallo?«
Ich gehe weiter, taste mich vor in den nächsten Raum. »Hallo?«
Keine Antwort.
»Ich … ich brauche Ihre Hilfe.«
Wieder nichts.
Als ich kehrtmachen will, leuchtet an der Decke eine nackte Glückbirne auf. Der Raum wird in gelbes Licht getaucht. Unter der Lampe sitzt ein kleiner Mann, schrumpelig wie eine Erdnuss.
Das muss Donaldio sein.
Um seine Schultern hängt eine gemusterte Decke. Die Augen sind pechschwarz und seine Haut ist so dünn, dass man die blauen Venen auf Stirn und Wangen sehen kann.
An den fensterlosen Wänden ragen Holzbalken in die Höhe. Auf dem Boden liegt eine Matratze, überall sind Klamotten verstreut, an den Wänden stapeln sich Papiere und Karten.
»Donaldio?«, frage ich.
Der Mann nickt. »Und du bist also Aria?« Er spricht mit hoher, matter Stimme.
»Ja, so heiße ich. Man hat mir gesagt, Sie könnten mir vielleicht helfen.«
»Kommt drauf an, wobei.«
Ich wünschte, es wäre hier so gemütlich wie bei Lyrica.
»Ich habe etwas in einem Kanal verloren und möchte es wiederfinden. Deshalb hoffe ich, Sie können vielleicht einschätzen, wohin es getrieben ist. Ich bezahle Sie auch.«
Nach den letzten Worten zucke ich zusammen. Hoffentlich habe ich noch genug Geld.
»Und was hast du verloren?«, fragt Donaldio.
Die Wahrheit kann ich ihm nicht sagen: dass ich nach einem Mystikerherzen suche. Das klingt verrückt. Und falls Donaldio selbst Mystiker ist, wird er es sicherlich nicht gutheißen, wenn ich nach einem so heiligen Gegenstand suche. »Ist das wichtig?«, frage ich daher.
»Natürlich ist das wichtig. Umfang und Gewicht des Gegenstands wirken sich auf meine Berechnungen aus.«
Ich habe keine Ahnung, wie viel das Herz eines Mystikers wiegt.
Donaldio starrt mich ausdruckslos an. »Wenn du Hilfe willst, musst du mir sagen, wonach du suchst.« Er hebt einen dünnen Arm und zeigt zum Eingang. »Sonst musst du gehen.«
Ich beiße mir auf die Lippe. Mir bleibt keine andere Wahl, als die Wahrheit zu sagen. Die ganze Wahrheit. »Vor einigen Wochen ist eine Freundin von mir gestorben. Ihre Leiche ist ins Wasser gefallen.«
»Du suchst also nach der Leiche?«
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