Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
»Warte kurz. Ich frag meinen Daddy.«
Er stapft den Anleger hinunter und brüllt: »Daddy, die Lady da drüben hat ma ’ne Frage!« Die älteren Gondolieri unterbrechen ihre Unterhaltung und einer von ihnen rudert sein Boot aus dem Pulk heraus. Er sieht zu mir herüber und nimmt seine zerschlissene Mütze ab.
Die anderen Gondolieri starren mich an und fragen sich wahrscheinlich, warum eine wie ich sich hier am Anleger herumtreibt. Ganz bestimmt sehe ich mit meinen platinblonden Haaren und in den knallengen Jeans nicht aus wie eine der Ladys, die sich sonst für Geld auf dem Kanal herumschippern lassen.
Der Vater streicht sich das graue Haar aus dem Gesicht und setzt die Mütze wieder auf. Er zieht an seiner Zigarette und bläst den Rauch in meine Richtung. »Ja?«
Ich schwitze unter der Perücke und am liebsten würde ich mich kratzen, aber ich reiße mich zusammen. »Können Sie mir sagen, wohin Sachen treiben, die im Kanal gelandet sind?«
»Hä?«, brüllt der Mann bloß zurück.
»Ich suche etwas«, erkläre ich, »was, äh … in einen Kanal gefallen ist. Ist ein paar Wochen her. Aber ich muss es dringend wiederhaben.«
Der Mann verengt die Augen zu schmalen Schlitzen – und bricht in schallendes Gelächter aus.
»Sehr lustig«, grölt er und klopft sich auf die Schenkel. »Haste gehört?«, brüllt er dem Mann im Boot hinter sich zu. »Sie hat was im Kanal verloren und will es wiederhaben!« Er hält sich den Bauch vor Lachen. Der andere Gondoliere fällt in sein Gelächter ein. »Viel Erfolg beim Suchen, Schätzchen!«, ruft er mir zu und schenkt mir ein zahnloses Grinsen.
An der nächstbesten Brücke biege ich ab, um ans andere Ufer zu kommen.
Ich beuge mich über die baufällige Brüstung und staune. Das Wasser ist nicht so dreckig wie sonst: Die Sonne lässt die Oberfläche grünlich-blau glitzern, und die Gebäude der Umgebung spiegeln sich darin.
Auf der anderen Seite des Kanals thronen die Horste auf Wolkenkratzern, an ihren Fundamenten nagt das Wasser. Nackte Rohre verlaufen an den Seiten wie Lebensadern, und in den unteren Stockwerken sind die Fenster vergittert.
Ein Stück weiter sehe ich wieder eine Gruppe gelangweilter Gondolieri. Ihre Boote sind an bemoosten Pfosten vertäut. Ich grüße sie und winke ihnen zu.
Diesmal fasse ich mich kurz, und es ist mir egal, wie merkwürdig sie meine Frage finden: »Weiß einer von Ihnen, wie ich etwas wiederfinden kann, was mir vor ein paar Wochen ins Wasser gefallen ist? Ich habe Geld.« Ich tätschele meine Tasche. »Ich kann Sie bezahlen, wenn Sie mir helfen.«
Die Männer lachen mich zwar nicht aus, schütteln jedoch den Kopf. »Keine Zeit für solche Späße«, sagt einer. »Zisch ab.«
Also ziehe ich weiter, bis meine Füße wehtun und mir so heiß ist, dass ich wünschte, ich hätte ein mystisches Kühlpflaster – oder wenigstens ein schattiges Plätzchen. Hier gibt es weder das eine noch das andere, nur bröckelnde Gebäude und gnadenlose Sonne. Allerdings herrscht kein Mangel an Gondolieri, von denen mir jedoch keiner helfen will. Manche lachen mich aus, andere nehmen mich nicht einmal zur Kenntnis.
Keine Ahnung, welche Reaktion ich frustrierender finde.
Nachdem ich drei Kanäle abgelaufen bin und fast dreißig Blocks hinter mich gebracht habe, würde ich am liebsten aufgeben. Ich bleibe an einem Kiosk stehen und kaufe mir eine Flasche Wasser. Obwohl das Wasser kochend heiß ist, trinke ich es aus.
Ich schiebe meine Perücke zurecht, setze mich an einen Kanal und lasse die Füße über die Kante baumeln. Die Wand des Kanals ist so dick mit grünen Algen überwuchert, dass sie aussieht wie das Fell eines Tieres.
Ich kneife die Augen zu und unterdrücke die Tränen. So werde ich Davidas Herz niemals finden.
Genau in diesem Augenblick sehe ich ihn.
Ein Gondoliere in einem blau-weiß gestreiften Hemd steuert den Kanal entlang. Er entdeckt mich und hält vor mir an. Ich packe die Spitze und helfe ihm, die Gondel seitwärts anzulegen.
»Kleine Rundfahrt gefällig?«, fragt er.
»Eigentlich brauche ich Hilfe.«
»Hm.« Der Mann nimmt eine Zigarette aus der Hosentasche und zündet sie mit einem Streichholz an. »Ich höre …«
»Ich habe etwas im Kanal verloren. Etwas, was mir sehr wichtig ist. Ich brauche jemanden, der mir bei der Suche hilft – der mir zeigen kann, wohin es getrieben ist. Jemand, der sich mit Gezeiten und Strömungen auskennt.« Ich bemühe mich, selbstsicher zu klingen. »Es ist sehr wichtig. Und ich kann
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