Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
Aria nicht zu sterben.«
Mein Vater sieht alle der Reihe nach an: meinen Bruder, meine Mutter, Benedict und mich. Schließlich nickt er. »Gut.« Er blickt mir tief in die Augen. »Vielleicht wirst du diesmal eine bessere Tochter.«
»Werde du ein besserer Vater«, sage ich.
Ich spüre, dass er mich wieder schlagen möchte, doch er reißt sich zusammen. Benedict tritt auf mich zu – ich will zurückweichen, doch Kyle steht plötzlich hinter mir, packt meine Arme und verdreht sie. »Nein!«, schreie ich.
»Sie werden jetzt schlafen«, sagt Benedict.
Langsam finden die Erinnerungsfetzen ihren Platz, wie Vögel, die für die Nacht ihren Schlafplatz aufsuchen. Ich sehe Bilder meiner Eltern, meine Gefühle für Hunter kehren zurück. Es folgen Geheimnisse, Lügen und Verrat. Davida. Thomas. Alles, was mir genommen wurde, ist wieder da, gestochen scharf. Und es tut weh. Ich bin in ein Netz aus grellem Schmerz gehüllt. Mir ist, als würde ich überall am Körper mit feinen Nadeln gestochen. Und dennoch finde ich Trost in diesem Schmerz – denn er gehört allein mir. Er ist der Preis, den ich dafür zahle, endlich zu wissen .
Ich bin in Dr. Mays Praxis. Mein Körper ist ruhiggestellt. Ich liege auf einer Trage, die Hände an den Seiten fixiert, und ich soll in einen großen Apparat geschoben werden.
Benedict beugt sich über mich. »Hören Sie mich?«
Ich will antworten, aber ich kann nicht sprechen.
»Hören Sie gut zu: Hunter ist nicht für immer verloren. Die Kräfte eines Mystikers kommen aus seinem Herzen. Hier wirkt die Magie. Blickt man in ein solches Herz, ist es, als wäre die Realität in ewigem Fluss, als blickte man in einen Spiegel aus Quecksilber. Auch wenn Sie jetzt diese schreckliche Prozedur mitmachen müssen, glauben Sie mir: Wenn Sie später einmal in Hunters Herz schauen, werden Sie darin sich selbst erblicken. Und diese Erkenntnis wird Ihre Befreiung sein. Darauf müssen Sie vertrauen.«
Was will Benedict mir sagen? Dass ich Hunter wiedersehen werde, obwohl er jetzt aus meinem Gedächtnis gelöscht wird? Ich bin so müde.
»Vertrauen Sie mir?«
Ich habe keine Kraft mehr. Ich kann nur noch nicken.
Und mit einem Mal fühle ich mich wieder vollständig; in meinem Körper ist ein Brennen, nicht von Schmerz, von etwas anderem, vielleicht von Liebe. Der Romeo aus den wunderschönen Liebesbriefen, der Junge, dessen Gesicht aus meinen Träumen gelöscht war – das war Hunter.
Und jetzt bin ich zurück, in meinem Zimmer, in meiner Gefängniszelle, und vor mir steht der Junge, der mir alles bedeutet, und fragt mich: »Liebst du mich?«
»Ja«, wispere ich, »aber bist du es wirklich?«
Er schließt mich in die Arme und flüstert: »Ich bin es wirklich. Und auch du bist jetzt wieder du selbst: die Aria, die ich einmal kannte. Du bist zu mir zurückgekommen.«
Ich fasse Hunters Arm und ich spüre seine Kraft. Wie kann Hunter jetzt hier sein? Ich habe ihn doch sterben sehen.
Plötzlich schnürt sich mir die Kehle zusammen und meine Haut beginnt zu jucken wie von einer allergischen Reaktion. An die Stelle meiner Freude über Hunter tritt Wut – auf meine Eltern, meinen Bruder, auf Thomas. Auf alle, die mich belogen haben. Ich bekomme keine Luft mehr.
»Aria?«, fragt Hunter erschrocken. Er schiebt sich hinter mich und faltet die Hände über meiner Brust. Danach drückt er sie kräftig gegen meinen Bauch.
Ich huste und spucke das Medaillon aus, das klirrend unter meine Kommode rollt.
Mir steigen die Tränen in die Augen und ich hole tief Luft. Ohne Vorwarnung übergebe ich mich.
»Alles in Ordnung?«, fragt Stiggson, nachdem er zweimal an die geschlossene Tür geklopft hat.
»Ja«, jaule ich, als Hunter aus dem Badezimmer kommt und mir ein nasses Handtuch bringt. Ich wische mir über Mund und Kinn, während Hunter mit Eifer den Teppich schrubbt. »Nur noch ein paar Minuten.«
Ich gehe ins Bad, spüle mir den Mund aus, wasche mein Gesicht und bin im Nu zurück. Auf dem Nachttisch steht ein Glas Mineralwasser, ich nehme einen Schluck. Ich kann kaum glauben, dass ich mich gerade übergeben habe. Und noch dazu vor Hunter. Und er macht auch noch brav für mich sauber. Das ist echt lieb und gleichzeitig total peinlich.
»Augenblick.« Ich gebe Hunter ein Zeichen, mit dem Schrubben aufzuhören.
»Ja?«
»Du lebst! Das ist unglaublich.«
Er lässt das Handtuch fallen, steht auf und nimmt mich in die Arme.
»Ich habe gedacht, du wärst tot.« Es drängt einfach aus mir heraus. Ich möchte ihm
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