Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
sondern nur ein dunkles Oval, das wie in Nebel gehüllt ist.
»Thomas, bist du das?«
»Ich bin hier.« Er streckt die Hand aus und zieht mich zu sich heran. »Hab keine Angst.«
Hektisch versuche ich den Nebel wegzuwischen. Aber je mehr ich mich anstrenge, das Gesicht zu erkennen, desto dunkler und schemenhafter wird es.
8
»Die Mystiker sind unser aller Unglück!«, schreie ich, klammere mich an Thomas und deute auf den Mann mit der blassen Haut.
»Schnitt!«
Sobald die Kameras abgeschaltet sind, eilt eine Schar Maskenbildner herbei und einer von ihnen tupft mir den Schweiß von den Wangen.
Thomas hält mich im Arm, doch ich habe nur Augen für den Tatort. Der Anschlag gestern Abend hat einen ganzen Wolkenkratzer in Schutt und Asche gelegt. Der Sprengstoff war im Inneren deponiert und die Explosion hat das ganze Haus von oben bis unten gespalten. Glücklicherweise war es ein Geschäftsgebäude. Nur im unteren Bereich, in der Tiefe, haben ein paar arme Leute gewohnt und die sind wohl rechtzeitig gewarnt worden. Da der Anschlag in der Nacht verübt wurde, waren die Büros in den Horsten leer. Die Täter wollten also nur eine Show abziehen. Leider sind die Trümmer der oberen Stockwerke auf eine der Verbindungsbrücken gekippt. Die Drahtseile der Brücke wurden durchtrennt, und eine fünfköpfige Familie, die auf dem Heimweg vom Dinner war, wurde dabei zermalmt.
»Aria!«, ruft Kevan-Todd, der Regisseur, und eilt zu Thomas und mir herüber. Wir posieren auf einer unversehrten Brücke direkt über der beschädigten.
»Was gibt es?«
Kevan-Todd wischt sich über den kahl rasierten Schädel und runzelt die Stirn. »Die Angst kam noch nicht überzeugend rüber.«
Ich nehme die Maske ab, die ich zum Schutz vor herabfallenden Trümmerteilen trage. Aus der Ferne verfolgen meine Mutter und ein paar Stadtbeamte die Dreharbeiten. Sie recken die Hälse und wollen wahrscheinlich wissen, ob es ein Problem gibt. Am liebsten würde ich Ihnen ins Gesicht sagen, wie lächerlich das alles hier ist: Ein Schauspieler spielt einen Mystiker; damit er auch ja kränklich genug aussieht, wird er vorher mit weißem Ganzkörper-Make-up eingesprüht – und Kevan-Todd macht sich allen Ernstes Sorgen, dass meine Show nicht gut genug sein könnte! Aber da der Spot so wichtig für die Wahlkampagne ist, werden wir sicher noch eine weitere Einstellung drehen.
Thomas drückt tröstend meine Hand.
»Tut mir leid«, sage ich. »Bestimmt ist es die Aufregung.«
»Stellen Sie sich einfach vor, die Kamera ist ihr bester Freund«, sagt Kevan-Todd. »Plaudern Sie mit ihr.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Ich soll über einen Sprengstoffanschlag plaudern? «
Thomas seufzt. »Aria!«
»Also gut«, sage ich und ziehe die Maske wieder über. »Ich geb mir Mühe.«
Kevan-Todd wendet sich der restlichen Crew zu. »Gut, Leute. Klappe, die neunte. Und bringt die Leichensäcke in Ordnung, ja? Die sollen aussehen, als wären echte Leichen drin, nicht wie Ballons, denen die Luft ausgegangen ist.«
Einer der Männer läuft zu einem Haufen schwarzer Säcke und schlägt an den Seiten Dellen hinein, damit sie fülliger aussehen. Ich weiß nicht, was darin ist, aber die Toten von gestern befinden sich bereits im Krematorium. Später wird ihre Asche in den Kanälen verstreut. Auf diese Weise wollen die meisten Menschen von ihren Liebsten bestattet werden.
»Uuund … Action!«
Die Kameras schwenken über die Ruinen von Haus und Brücke und halten dann bei Thomas an. »Ich bin Thomas Foster«, spricht er routiniert, »und das ist meine Verlobte Aria Rose. Gestern Nacht haben Mystiker durch einen Sprengstoffanschlag eine unschuldige Familie ausgelöscht. Die Roses und die Fosters haben sich zusammengetan, um diesen Terrorismus auszurotten. Wählen Sie meinen Bruder Garland zum Bürgermeister, dann wird er für die Sicherheit der Horste kämpfen. Für Ihre Sicherheit.«
Er macht eine Pause und Kevan-Todd winkt hektisch. Jetzt erst merke ich, dass ich beinahe mein Stichwort verpasst hätte.
»Die Mystiker sind unser aller Unglück!«, rufe ich und lasse mich wie ohnmächtig in Thomas’ Arme sinken.
»Schnitt!«, ruft Kevan-Todd. Er lächelt halbherzig. »Nun … das hätten wir!«
Thomas reißt seine Maske herunter. »Gut gemacht, Liebling.« Er küsst mich auf die Wange. »Ich hole Wasser. Möchtest du auch welches?«
»Klar«, antworte ich. Ich bin abgelenkt, weil sich auf der anderen Seite der Brücke eine Gruppe kreischender Teenies versammelt
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