Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
beobachten zu lassen. Das will ich auf jeden Fall vermeiden.
Sogar früh am Morgen ist das Make-up meiner Mutter perfekt – ein wenig blauer Glitzer auf den Lidern, Rouge auf den Wangen. Das Haar trägt sie zur Banane hochgesteckt. »Gut. Vielleicht kann ich noch einen Termin im Spa bekommen, dann machen wir uns einen schönen Damentag.«
Auch sie hat also keine Ahnung. Kyle hat den Mund gehalten. Ich bin erleichtert und besorgt zugleich. Besorgt, weil das auch bedeuten kann: Kyle will mit Turk auf eigene Faust abrechnen.
»Ist Davida da?«, frage ich.
»Sie ist in meinem Auftrag unterwegs.« Mom blickt auf ihre altmodische Armbanduhr. »Du solltest langsam ins Büro fahren. Eine Rose verspätet sich nicht.«
Bei der Arbeit versuche ich ja nicht aufzufallen. Den größten Teil des Tages verstecke ich mich in meiner Büronische und gehe Benedict aus dem Weg. Thomas ruft zweimal an, ich ignoriere ihn. Er schickt mir eine Nachricht auf dem TouchMe: Antworte doch bitte. Widerwillig schreibe ich schließlich zurück: Mir geht es gut, habe viel zu tun, wir reden später. Hoffentlich lässt er mich für den Rest des Tages in Ruhe. Dann suche ich im Internet nach Informationen über Violet Brooks.
Die neunundvierzigjährige Tochter des verstorbenen Ezra Brooks dürfte als Vertreterin der Mystiker die perfekte Kandidatin für die anstehende Wahl sein. Seit Jahren kämpft sie für die Bürgerrechte der Mystiker. Sie saß in verschiedenen Regierungsausschüssen, sowohl in New York als auch in Washington.
Aber Amerika fürchtet die Mystiker. Diese leben fast ausschließlich in den Großstädten. Im Mittleren Westen bekommt man selten einen zu Gesicht. Nach dem Großen Feuer, für das die Mystiker verantwortlich gemacht wurden, hat man sie als Terroristen eingestuft. Violet Brooks kämpft gegen dieses Image.
Interessanterweise wird in keinem dieser Artikel ein Sohn erwähnt. Als ich nichts Neues mehr über Violet Brooks finde, recherchiere ich über die Abschöpfungen. Nirgendwo werden die Einzelheiten des Verfahrens beschrieben. Wissenschaftler berichten, bei den Mystikern löse die Abschöpfung Euphorie aus, »denn sie sehnen sich danach, ihre Kräfte zum Wohl aller Menschen einzusetzen – für die Mystiker und die Nichtmystiker«. Davon glaube ich kein Wort.
Meine Mittagspause verbringe ich meistens in der Cafeteria in einem der unteren Stockwerke, doch heute bleibe ich oben und esse das Sandwich, das Magdalena mir mitgegeben hat. Die meisten anderen Büronischen sind leer. Das ganze Stockwerk wirkt verwaist.
Als ich sehe, wie Benedict sein Büro in Begleitung meines Vaters verlässt, mache ich mich unauffällig in Richtung Toilette auf. Unterwegs ducke ich mich hinter einen Raumteiler und spähe über die Kante. Die beiden gehen zu der Stahltür, die mir schon am ersten Tag aufgefallen ist. Sie öffnet sich und ein schriller Piepton ist zu hören. Nachdem sie eingetreten sind, schließt sich die Tür mit einem Klicken. Bisher habe ich noch niemanden dort eintreten sehen.
Ich gehe zur Toilette und esse anschließend den Rest meines Sandwiches. Ungefähr eine halbe Stunde später ist Benedict wieder in seinem Büro, umringt von einer Gruppe Assistenten. In der Annahme, dass mein Vater ebenfalls an der Besprechung teilnimmt, trabe ich den Gang entlang, nähere mich vorsichtig der geheimnisvollen Tür. Hier gibt es weder einen Scanner noch einen Schlitz für eine Schlüsselkarte. Wie sind sie die beiden dann reingekommen?
Bevor ich des Rätsels Lösung finden kann, nähern sich Schritte und ich ziehe mich so rasch wie möglich an meinen Schreibtisch zurück. Von meinem Pensum schaffe ich kaum etwas. Ständig muss ich an Hunter denken. Zuerst habe ich geglaubt, er wollte mich nicht sehen. Jetzt aber mache ich mir Sorgen, dass er womöglich wegen seines Kontakts zu mir Schwierigkeiten mit seinen Leuten hat.
Nach der Arbeit fahre ich mit der Leichtbahn zu unserem Apartmentturm. Aber statt ins Haus zu gehen, überquere ich die Brücke zum nächsten AP und bete, dass mir niemand hinterherschnüffelt. Im Schatten warte ich, bis der Feierabendverkehr nachgelassen hat. Dann gehe ich zum Scanner und will nach unten fahren. Als ich die Hand auflege, blinkt das Schild über dem Terminal rot. Die Worte ZUGANG VERWEIGERT erscheinen auf dem kleinen Bildschirm neben dem Scanner. Das ist mir noch nie passiert. Mir wird übel. Das Netz hat mich ausgesperrt.
Hat mein Vater das veranlasst? Oder Benedict, wegen der Bilder von der
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