Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
kann ich die blauen Venen auf seiner Stirn sehen. Er hat sich vorgebeugt, die Augen sind gerötet, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Er fletscht die Zähne wie ein Hund, bevor er beißt.
»Hatten Sie ein schönes Wochenende?«, fragt er.
Sein Ton verrät mir, dass ihn das nicht die Bohne interessiert. Ich sehe mich kurz um. Das ganze Stockwerk schaut zu, alle haben die Köpfe über die Abteilwände gestreckt.
»Was meinen Sie?«
Benedict wartet einen Moment, ehe er über mich hinweglangt und sich auf meinem TouchMe in sein E-Mail-Konto einloggt. Sekunden später hat er eine Reihe von Bildern aufgerufen, die Stacy am Samstagabend zeigen, während die Überdosis zu wirken beginnt – irgendwer in dem Zimmer muss mit dem Handy Fotos gemacht haben. Auf den meisten bin ich zu sehen, wie ich mich über das Mädchen mit der Überdosis beuge. Im Hintergrund sind Stic-Pillen zu erkennen.
»Die wurden mir heute Morgen zugeschickt. Von einem besorgten Mitbürger«, erklärt mir Benedict. »Haben Sie eine Ahnung, welche Auswirkungen das auf die Wahl hat, wenn es an die Öffentlichkeit kommt? Ihre Dummheit gefährdet alles, wofür Ihre Familie jahrelang gearbeitet hat.«
»Aber ich habe doch gar nichts getan«, erwidere ich.
Benedict schüttelt den Kopf. »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Es gibt Menschen, die tun alles, um voranzukommen. Wissen Sie das denn immer noch nicht?«
Menschen wie Sie vielleicht?, möchte ich antworten, reiße mich aber zusammen.
»Ihre Familie steht in der Öffentlichkeit. Bei Ihrem ersten Skandal, der Überdosis, konnten wir noch den Deckel draufhalten.« Er saugt zischend die Luft ein. »Ich weiß nicht, ob uns das ein zweites Mal gelingt.«
Ich balle die Hände zu Fäusten und verstecke sie hinter meinem Rücken. Ich habe niemals Stic genommen. Hier läuft im Hintergrund irgendeine Intrige. Ich weiß nur nicht welche. Noch nicht.
»Und was machen wir jetzt?«, frage ich und deute auf den Bildschirm. »Vielleicht können wir der Presse erklären, dass ich versucht habe das Mädchen zu retten. Und dass ich selbst keinerlei Drogen genommen habe.«
Benedict schließt das Postfach. »Wir haben uns der Sache schon angenommen. Die E-Mail konnten wir zu einem Teenager von der East Side zurückverfolgen. Wir haben die Digitalfotos gefunden und gelöscht, ehe sie jemand an die Regenbogenpresse schicken konnte.«
Ich fühle mich erleichtert. »Oh … danke.«
»Ich habe das nicht für Sie getan.« Benedict kneift die Augen zusammen und sieht fieser aus als je zuvor. »Sondern für Ihren Vater. Ich werde ihm von diesem Zwischenfall gar nicht erst erzählen, er muss sich jetzt auf den Wahlkampf konzentrieren.« Er beugt sich weiter vor. »Und genau darauf sollten Sie sich ebenfalls konzentrieren.« Nun richtet er sich auf. »Und ich sollte meine Zeit nicht mit Grünschnäbeln wie Ihnen vergeuden, während mich wichtige Aufgaben erwarten.«
»Das reicht, Patrick«, unterbricht ihn eine Frauenstimme.
Elissa Genevieve ist dazugekommen. Sie trägt das seidige blonde Haar offen und hat eine coole graue Hose an und eine lavendelfarbene Bluse mit weißer Einfassung, dazu schwarze hochhackige Schuhe.
»Aria hat verstanden, oder?«, fragt sie an mich gewandt.
Ich nicke.
»Jetzt mal ehrlich, Patrick: Sie brauchen das arme Mädchen nicht auch noch einzuschüchtern.«
Benedict blickt erst sie, dann mich entgeistert an und reibt sich die Augen. Er kann es wohl nicht fassen, dass Elissa mich verteidigt. »Na gut«, sagt er und verschwindet in seinem Büro.
»Danke.«
»Gern geschehen«, sagt Elissa und legt mir die Hand auf die Schulter. »Aber er hat Recht. Die Menschen in dieser Stadt blicken auf Sie. Die öffentliche Meinung kann für Sie deshalb eine Menge Druck bedeuten, aber das ist leider Ihr Schicksal.«
Gewiss will Elissa nur helfen. Doch sie hat keine Ahnung, was ich gerade durchmache. So sage ich nur: »Verstanden« und widme mich wieder meiner Arbeit.
Am Abend bereite ich mich auf das Date mit Hunter vor. Er soll nicht denken, ich hätte mich zu sehr für ihn aufgetakelt. Also entscheide ich mich für ein orangefarbenes, ärmelloses Kleid und schlichte braune Pumps. Ich bürste mein Haar, creme mir die Wangen mit Feuchtigkeitslotion ein und trage ein wenig Lipgloss auf.
Ich hocke schon eine gefühlte Ewigkeit auf der Bettkante, als es endlich leise an meiner Balkontür klopft. Ungeduldig drücke ich auf einen Schalter an der Wand. Die Gardine fährt zurück und ich
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