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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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einem Kerl mit ‘ner Waffe. Ach ja, und einem Knüppel.«

18 WAS ER EINST WUSSTE
    Nachdem er Dave auf der Veranda zurückgelassen hatte und seine Wangen und Augen wieder trocken waren, duschte Jimmy zum zweiten Mal. Er spürte es in sich, das Bedürfnis zu weinen. Es stieg in ihm auf wie ein Ballon, bis Jimmy keine Luft mehr bekam. Er hatte sich unter die Dusche gestellt, weil er allein sein wollte, falls es richtig aus ihm herausbrach, nicht nur die paar Tropfen, die ihm draußen die Wangen heruntergelaufen waren. Er hatte Angst, zu einem zitternden Meer aus Tränen zu werden und am Ende so zu heulen wie als kleiner Junge in der Dunkelheit seines Zimmers, als er überzeugt war, dass er bei der Geburt fast seine Mutter getötet hätte und sein Vater ihn deshalb hasste.
    Unter der Dusche spürte er sie wieder kommen – diese vertraute Welle der Traurigkeit, die ihm so uralt erschien und ihn begleitet hatte, solange er denken konnte, eine Gewissheit, dass in seiner Zukunft Tragisches wartete, etwas Tragisches von der Schwere eines Kalksteinblocks. Als hätte ihm ein Engel seine Zukunft vorausgesagt, als er noch im Bauch seiner Mutter war, und als er herausgekommen war, hatten sich die Worte des Engels tief in seinen Kopf eingegraben, nur auf den Lippen waren sie verblasst.
    Jimmy hielt das Gesicht in den Wasserstrahl. Er dachte: Ich weiß tief in mir, dass ich zum Tod meines Kindes beigetragen habe. Ich weiß nur nicht, wie.
    Die ruhige Stimme in ihm flüsterte: Du wirst es wissen.
    Sag’s mir.
    Nein.
    Verpiss dich.
    Ich war noch nicht fertig.
    Aha.
    Das Wissen wird kommen.
    Und mich verfluchen?
    Das hängt von dir ab.
    Jimmy senkte den Kopf und rief sich in Erinnerung, dass Dave Katie nicht lange vor ihrem Tod gesehen hatte. Lebendig, betrunken, tanzend. Tanzend und glücklich.
    Es war dieses Wissen gewesen – dass jemand anderes als er selbst ein aktuelleres Bild von Katie besaß –, das es ihm überhaupt ermöglicht hatte zu weinen.
    Jimmy hatte Katie zum letzten Mal gesehen, als sie Samstag am Ende ihrer Schicht den Laden verließ. Das war um fünf nach vier gewesen und Jimmy hatte gerade mit seinem Lieferanten telefoniert, hatte Bestellungen aufgegeben, war abgelenkt gewesen, als Katie ihn auf die Wange geküsst und »Bis später, Daddy!« gesagt hatte.
    »Bis später«, hatte er geantwortet und ihr hinterhergeschaut.
    Nein. Das war Quatsch. Er hatte ihr nicht hinterhergeschaut. Er hatte sie gehen h ö ren, aber sein Blick war auf den Bestellzettel vor ihm auf der Schreibtischunterlage geheftet gewesen.
    Deshalb war sein letzter visueller Eindruck von ihr, wie sie sich nach dem Kuss entfernt und »Bis später, Daddy!« gesagt hatte.
    Bis später, Daddy.
    Jimmy wurde klar, dass es der Teil mit dem »später« war – der spätere Abend, die späteren Minuten ihres Lebens –, der ihn fertig machen würde. Wenn er da gewesen wäre, wenn er etwas mehr Zeit etwas später an dem Abend mit seiner Tochter verbracht hätte, dann könnte er sich jetzt vielleicht an ein späteres Bild von ihr erinnern.
    Konnte er aber nicht. Dave konnte es. Und Eve und Diane. Und ihr Mörder.
    Wenn du schon sterben musstest, dachte Jimmy, wenn so was wirklich vorbestimmt ist, dann wünschte ich mir, dass du dabei in meine Augen hättest sehen können. Es hätte mir wehgetan, dich sterben zu sehen, Katie, aber wenigstens hätte ich gewusst, dass du dich nicht ganz so allein gefühlt hättest, wenn wir uns angeschaut hätten.
    Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr. Ich liebe dich sogar mehr, als ich deine Mutter geliebt habe, mehr als deine Schwestern, mehr als Annabeth, Gott steh mir bei. Ich liebe sie alle innig, aber dich liebe ich am meisten, weil wir, als ich aus dem Gefängnis kam und mit dir in der Küche saß, die letzten beiden Menschen auf dieser Erde waren. Vergessen und ungewollt. Und wir waren so verängstigt, so verwirrt und vollkommen verzweifelt. Aber danach ging es bergauf, stimmt’s? Wir machten etwas Gutes aus unserem Leben, so dass wir eines Tages nicht mehr verängstigt, nicht mehr verzweifelt waren. Und das hätte ich ohne dich nicht geschafft. Nicht ohne dich. So stark bin ich nicht.
    Du wärst eine wunderschöne Frau geworden. Eine wunderschöne Ehefrau vielleicht. Eine fantastische Mutter. Du warst meine Freundin, Katie. Du sahst meine Angst und liefst nicht fort. Ich liebe dich mehr als mein Leben. Dich zu vermissen wird mein Krebs sein. Es wird mich umbringen.
    Und einen kurzen Augenblick lang spürte Jimmy,

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