Mystic River
mal, Dave ist gestorben. Der Junge, der hinterher aus dem Loch da kroch, keine Ahnung, wer das war – na ja, ich bin das natürlich –, aber Dave ist es jedenfalls nicht. Dave ist tot.«
Celeste konnte nicht sprechen. In acht Jahren hatte Dave nie über das geredet, was ihm, wie jeder wusste, zugestoßen war. Er hatte ihr erzählt, er hätte mit Sean und Jimmy gespielt, sei entführt worden und dann geflohen, ansonsten hatte er kein Wort darüber verloren. Sie hatte noch nie die Namen der Männer gehört. Sie hatte noch nie von dem Schlafsack gehört. Sie hatte noch nie was davon gehört. Es war, als würden sie in diesem Moment aus der Traumwelt ihrer Ehe erwachen und gegen ihren Willen mit all den Erklärungen, Halbwahrheiten, unterdrückten Wünschen und verborgenen Seiten konfrontiert, auf die sie ihre Ehe gegründet hatten. Ihre Ehe zerbröckelte unter der Abrissbirne der Erkenntnis, dass sie sich nie wirklich gekannt, sondern nur gehofft hatten, sich irgendwann zu kennen.
»Die Sache ist bloß«, fuhr Dave fort, »die Sache ist bloß, dass es dasselbe mit den Vampiren ist, Celeste. Genau dasselbe. Es ist ganz genau dasselbe.«
»Was ist dasselbe?«, flüsterte sie.
»Es geht nicht weg. Wenn du es erst mal in dir hast, dann bleibt es da auch.« Er blickte wieder auf den Couchtisch und sie merkte, dass er ihr entglitt.
Sie berührte seinen Arm. »Dave, was geht nicht weg? Was ist dasselbe?«
Dave betrachtete ihre Hand, als wolle er knurrend seine Zähne in sie versenken. »Ich kann meinem Kopf nicht mehr trauen, Celeste. Ich warne dich! Ich kann meinem Kopf nicht trauen.«
Sie zog ihre Hand weg, die an der Stelle brannte, mit der sie seine Haut berührt hatte.
Dave stand zögernd auf. Er legte den Kopf schief und sah Celeste an, als wüsste er nicht genau, wer sie sei und wie sie da auf den Rand seiner Couch gekommen sei. Er schaute zum Fernseher hinüber, wo James Woods gerade einem mit der Armbrust ins Herz schoss, und flüsterte: »Mach sie alle, Vampirjäger. Mach sie alle!«
Dann drehte er sich zu Celeste um und grinste sie betrunken an. »Ich geh vor die Tür.«
»Gut«, sagte sie.
»Ich geh vor die Tür und denke nach.«
»Ja«, sagte Celeste. »Klar.«
»Wenn ich im Kopf damit klar komme, werde ich schon damit fertig, denke ich. Ich muss einfach nur im Kopf damit klar kommen.«
Celeste fragte sich, was er mit »damit« meinte.
»Tja, also gut«, sagte er und ging zur Wohnungstür. Er öffnete sie und war schon über die Schwelle, steckte seinen Kopf aber noch mal herein.
Mit starrem Blick erklärte er: »Ach, übrigens, ich hab mich um den Müll gekümmert.«
»Was?«
»Die Mülltüte«, sagte er. »Wo du meine Sachen und so reingetan hast. Ich hab sie mitgenommen und weggeschmissen.«
»Ah«, sagte sie und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
»Also, bis später!«
»Ja«, antwortete sie und Daves Kopf verschwand wieder, »bis später!«
Sie lauschte seinen Schritten, bis sie den Treppenabsatz erreicht hatten. Sie hörte die Haustür knarren, Dave auf die Veranda treten und die Vordertreppe hinuntersteigen. Sie ging zur Treppe, die zu Michaels Zimmer führte, und hörte ihn da oben schlafen, tief atmen. Dann ging sie ins Badezimmer und übergab sich.
Er fand einfach nicht die Stelle, wo Celeste das Auto geparkt hatte. Manchmal, besonders bei Schneestürmen, musste man acht Straßenecken weit fahren, bis man einen Parkplatz fand, daher konnte Celeste den Wagen sogar hinten im Point abgestellt haben, obwohl Dave einige freie Parkplätze in der Nähe des Hauses sah. War wohl gut so. Er war wahrscheinlich eh zu besoffen zum Fahren. Ein ordentlicher Spaziergang würde ihm vielleicht helfen, einen klaren Kopf zu bekommen.
Er ging die Crescent entlang bis zur Buckingham Avenue, bog nach links und fragte sich, was zum Teufel ihm eingefallen war, Celeste etwas erklären zu wollen. Mensch, er hatte ihr sogar die beiden Namen genannt – Henry und George! Er hatte von Werwölfen geredet, es war zum Kotzen. Scheiße!
Jetzt stand es fest: Die Polizei verdächtigte ihn. Sie würden ihn beobachten. Er konnte in Sean nicht mehr den alten, verlorenen Freund sehen. Das war jetzt vorbei und nun wusste Dave auch wieder, was er an Sean nicht hatte leiden können, als sie Kinder gewesen waren: dieses Gefühl, einen Anspruch auf etwas zu haben, dieses Gefühl, immer von der Richtigkeit seiner eigenen Meinung überzeugt zu sein wie die Kinder, die das Glück hatten – mehr war das nämlich
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