Mystic River
einschüchterte, seine Augen verrieten Angst und seine Blicke schossen blitzschnell im Zimmer hin und her.
»Aber wenn du mich erschießt, lässt du ihm keine Wahl.«
»Ich hab keine Angst zu sterben.«
»Das ist mir klar. Aber weißt du was? Er schießt dir nicht in den Kopf oder so. Wir töten keine Kinder, hey. Aber wenn er von da schießt, wo er jetzt steht, kannst du dir vorstellen, wo dich die Kugel dann trifft?«
Sean hielt die Augen auf Johnny gerichtet, auch wenn sein Blick magnetisch von der Pistole in den Händen des Jungen angezogen wurde, auch wenn er auf sie hinunterschauen, den Sitz des Abzugshahn kontrollieren und feststellen wollte, ob der Junge ihn überhaupt gespannt hatte. Sean dachte, ich will nicht erschossen werden, und auf gar keinen Fall von einem Kind. Er konnte sich keinen armseligeren Abgang vorstellen. Er vermutete, dass Brendan, der in drei Meter Entfernung links von ihm stand, wahrscheinlich dasselbe dachte.
Johnny fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Der Schuss wird durch deine Achselhöhle in dein Rückgrat gehen, Mann. Dann wirst du gelähmt sein. Dann wirst du so ein Kind sein, wie es immer in der Werbung für die Kinderkrebshilfe zu sehen ist. Du weißt schon. Die Kinder, die im Rollstuhl sitzen, auf einer Seite total gelähmt, der Kopf baumelt so runter. Sabbern wirst du, Johnny. Und damit du durch einen Strohhalm trinken kannst, halten sie dir eine Tasse vor den Mund.«
Johnny fasste einen Entschluss. Das konnte Sean an Johnnys Gesichtsausdruck sehen. Er merkte, wie Johnny die Angst packte, und er wusste, das Kind würde abdrücken, nur um das Geräusch des Schusses zu hören.
»Mann, meine Scheißnase«, sagte Johnny und drehte sich zu Brendan um.
Sean atmete erleichtert auf, blickte nach unten und sah, dass die Waffe von seinem Körper wegschwenkte, als drehte sie sich auf einem Stativ. Er griff so schnell zu, dass es ihm vorkam, als übe jemand anderes die Kontrolle über seine Arme aus. Er schloss in dem Moment die Hand um die Pistole, als Whitey in den Raum trat und seine Glock auf die Brust des Jungen richtete. Johnny stieß einen merkwürdigen Laut aus – ein Keuchen, das seine Überraschung über die plötzliche Niederlage verriet und sich anhörte, als hätte er ein Weihnachtspäckchen geöffnet und nur einen schmutzigen Socken darin gefunden. Sean drückte Johnnys Kopf gegen die Wand und entriss ihm die Waffe.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte Sean, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute zu Whitey hinüber.
Johnny fing an zu heulen, wie es nur Dreizehnjährige können, als hätte sich die ganze Welt gegen ihn verschworen.
Sean drehte Johnny zur Wand und seine Hände auf den Rücken. Dann sah er Brendan, dessen Lippen und Arme zitterten, der sich traute, endlich wieder zu atmen, während Ray Harris hinter ihm in der Küche stand, die aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
Whitey trat hinter Sean und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Alles klar?«
»Der hätte wirklich abgedrückt«, stellte Sean fest und spürte, dass alle seine Kleidungsstücke durchgeschwitzt waren, sogar die Socken.
»Nein, hätte ich nicht«, jammerte Johnny. »Das war bloß Spaß.«
»Halt’s Maul«, herrschte Whitey ihn an und kam ganz nah an das Gesicht des Jungen heran. »Dein Gejaule juckt keinen mehr, nur noch deine Mama, du kleines Schwein. Kannst dich schon mal dran gewöhnen.«
Sean ließ die Handschellen um Johnny O’Sheas Handgelenke schnappen, packte ihn am Hemd, schob ihn in die Küche und drückte ihn auf einen Stuhl.
»Ray, du siehst aus, als hätte dich jemand aus einem Lkw geworfen«, sagte Whitey.
Ray sah seinen Bruder an.
Brendan lehnte sich gegen den Herd und stand so schief da, dass Sean befürchtete, schon der kleinste Windstoß könne Brendan umwerfen.
»Wir wissen Bescheid«, sagte Sean.
»Was wisst ihr?«, flüsterte Brendan.
Sean betrachtete den einen Jungen, der auf dem Stuhl saß und schniefte, dann den anderen, den stummen, der zu ihnen aufsah, als hoffe er, sie würden bald abhauen, damit er hinten in seinem Zimmer wieder Videospiele spielen konnte. Sean war ziemlich sicher, dass die beiden, sobald er einen Gebärdendolmetscher und einen Sozialarbeiter dahatte und sie befragte, sagen würden, sie hätten es »einfach nur so« getan. Weil sie eine Pistole hatten. Weil sie zufällig auf der Straße waren, als Katherine vorbeifuhr. Vielleicht weil Ray sie nie so richtig hatte leiden können. Weil es eine coole Idee
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