Mystic River
plapperten oder schrien andere Kinder einfach drauflos, wenn ihnen danach war, fluchten vor ihren Eltern, wollten dies oder jenes, und hatten absolut keinen Respekt vor Erwachsenen, dafür aber diesen leicht benommenen, fiebrigen Blick von Junkies, die zu viel Zeit vor dem Fernseher, dem Computer oder beidem verbrachten. Sie erinnerten Jimmy an die silbernen Kugeln im Flipperautomat – in einem Moment träge, schossen sie im nächsten über das Spielfeld, prallten gegen Glocken, schlingerten von einer Seite zur anderen. Wollten sie etwas haben, bekamen sie es meistens. Wenn nicht, verlangten sie es noch lautstärker. War die Antwort immer noch ein zögerliches Nein, schrien sie los. Und ihre Eltern – allesamt Weicheier, wie Jimmy fand – knickten ein.
Jimmy und Annabeth liebten ihre Mädchen abgöttisch. Sie arbeiteten hart, damit die Kinder glücklich und wohlbehütet aufwuchsen und spürten, dass sie geliebt wurden. Aber zwischen dieser Erziehungsmethode und der Bereitschaft, sich von seinen Kindern vorführen zu lassen, bestand ein feiner Unterschied und Jimmy legte Wert darauf, dass seine Mädchen wussten, wo die Grenze verlief.
Die beiden kleinen Rotznasen, die gerade an Jimmys Bank vorbeigingen, kannten diese Grenze offensichtlich nicht. Die zwei Jungen schubsten einander, lachten laut, ignorierten das Pssst! der Nonnen und trieben ihre Spielchen mit der Gemeinde. Ein paar von den Erwachsenen lächelten doch glatt zurück! O Gott! Zu Jimmys Zeit wären die Eltern von der Bank aufgestanden, hätten die beiden am Schlafittchen gepackt, ihnen den Arsch versohlt und im Flüsterton noch mehr Schläge angedroht, bevor sie sie wieder auf ihre Plätze gesetzt hätten.
Jimmy hatte seinen Alten gehasst und wusste auch, dass seine Kindheit Scheiße gewesen war, sicher, aber es musste, verdammt noch mal, eine Lösung irgendwo dazwischen geben, die die Mehrheit einfach übersah. Eine Lösung, bei der das Kind wusste, dass die Eltern es liebten, aber dass sie die Chefs im Ring waren; bei der Regeln einen Sinn hatten, ein Nein wirklich nein bedeutete, und man nicht gleich der Held war, bloß weil man süß aussah.
Doch selbst wenn man diese Grundsätze bei der Erziehung seiner Kinder beherzigte, schloss das nicht aus, dass man enttäuscht wurde. So wie von Katie heute. Nicht genug, dass sie nicht zur Arbeit erschienen war, jetzt sah es auch so aus, als schenke sie sich die Erstkommunion ihrer jüngeren Halbschwester. Was zum Teufel dachte sie sich dabei? Wahrscheinlich nichts und das war der Punkt.
Als er sich umdrehte und Nadine den Gang entlangschreiten sah, war Jimmy so stolz, dass seine Wut auf Katie (und ja, auch seine Sorge, ein unmerkliches, aber beständiges Nagen) ein wenig nachließ, auch wenn er wusste, dass beides wiederkehren würde. Die Erstkommunion war ein großes Ereignis im Leben eines katholischen Kindes – ein Tag, an dem man sich schick machte und bewundert wurde, an dem alle um einen herumscharwenzelten und man anschließend zum Essen zu Chuck E. Cheese ging –, und Jimmy war es wichtig, die großen Ereignisse im Leben seiner Kinder gebührend zu feiern, damit sie sich später gern an sie erinnerten. Deshalb ärgerte er sich so darüber, dass Katie nicht gekommen war. Sie war neunzehn, sicher, und die Kommunion ihrer jüngeren Halbschwestern bedeutete ihr nicht viel im Vergleich zu Jungs, Klamotten und Kneipen, die es mit dem Alkoholausschank an Jugendliche nicht so genau nahmen. Jimmy verstand das. Deshalb ließ er Katie normalerweise viel Freiraum. Aber sich vor so einem Tag zu drücken, besonders nach all dem, was Jimmy für Katie getan hatte, damit sie die wichtigen Ereignisse ihres Lebens in guter Erinnerung behielt, das war eine schwache Leistung.
Wieder spürte er die Wut aufsteigen und wusste, dass er sich mit Katie, sobald sie auftauchte, eine »Debatte« liefern würde, wie Annabeth es immer nannte, und was in den letzten Jahren häufig vorgekommen war.
Egal. Verdammt noch mal!
Jetzt kam Nadine, sie war fast auf einer Höhe mit Jimmys Kirchenbank. Nadine hatte Annabeth versprechen müssen, dass sie ihren Vater im Vorbeigehen nicht ansehen würde, damit sie die Heiligkeit des Sakraments nicht mit kindischem, leichtsinnigem Verhalten beschmutzte. Nadine wagte aber trotzdem einen Seitenblick – ganz verstohlen, nur damit Jimmy wusste, dass sie den Zorn ihrer Mutter riskierte, um ihrem Vater ihre Liebe zu zeigen. Sie schielte nicht nach ihrem Großvater Theo oder nach den sechs
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