Mystic River
sondern eher besorgt um sie. Auch wenn sie sonst spät nach Hause kam und sich mit Jungen herumtrieb, die er nicht kannte, so war Katie doch keine, die ihre Halbschwestern im Stich ließ. Die Kleinen beteten sie an und sie wiederum war vernarrt in die beiden, nahm sie mit ins Kino, zum Skaten, zum Eisessen. In den letzten Tagen hatte sie sie ganz heiß auf die Parade am nächsten Sonntag gemacht, als wäre Buckingham Day neben Saint Patrick’s Day und Weihnachten ein nationaler Feiertag. Am Mittwochabend war sie früh nach Hause gekommen und hatte die beiden Mädchen mit nach oben geschleppt, um mit ihnen für den Festumzug Kleider auszuprobieren. Katie hatte eine kleine Modenschau daraus gemacht, sich auf ihr Bett gesetzt und die Mädchen hatten ihr immer neue Klamotten vorgeführt und sie mit Fragen über Frisur, Augen-Make-up und die richtige Art zu gehen gelöchert. Natürlich sah das Zimmer der beiden Kleinen hinterher aus, als hätte ein Wirbelsturm darin gewütet, aber das war Jimmy egal – Katie sorgte dafür, dass den Mädchen ein weiteres Ereignis in guter Erinnerung blieb, und wendete dabei die Tricks an, die Jimmy ihr beigebracht hatte, damit auch noch das Unbedeutendste wichtig und einzigartig erschien.
Warum also sollte sie Nadines Erstkommunion schwänzen?
Vielleicht hatte sie sich so richtig die Kante gegeben. Oder hatte vielleicht wirklich einen Typ getroffen, der wie ein Filmstar aussah und supercool drauf war. Oder sie hatte es einfach vergessen.
Jimmy stand von der Kirchenbank auf und ging mit Annabeth und Sara den Gang hinunter, Annabeth drückte seine Hand und bemerkte seine zusammengepressten Lippen, den geistesabwesenden Blick.
»Es ist bestimmt nichts. Sie hat wahrscheinlich einen dicken Kopf. Sonst nichts.«
Jimmy lächelte, nickte und drückte ihr ebenfalls die Hand. Annabeth mit ihren hellseherischen Fähigkeiten, ihrem warmen Händedruck und ihrer Lebensklugheit war der wichtigste Mensch in Jimmys Leben; so schlicht und einfach ließ es sich ausdrücken. Sie war seine Frau, Mutter, beste Freundin, Schwester, Geliebte und Priesterin. Ohne sie wäre er wieder in Deer Island gelandet, das wusste Jimmy genau. Oder noch schlimmer, er würde da draußen in irgendeiner Anstalt für Schwerverbrecher wie Norfolk oder Cedar Junction mit verfaulenden Zähnen seine lange Strafe absitzen.
Als er Annabeth ein Jahr nach seiner Entlassung kennen lernte und noch zwei Jahre Bewährung vor sich hatte, begann seine Beziehung zu Katie gerade langsam Gestalt anzunehmen. Katie schien sich daran gewöhnt zu haben, dass er die ganze Zeit da war – zwar müde, aber warmherzig –, und Jimmy hatte sich daran gewöhnt, immer erschöpft zu sein, erschöpft von zehn Stunden Arbeit, nach der er quer durch die Stadt raste, um Katie abzuholen oder sie bei seiner Mutter, im Kindergarten oder in der Schule abzugeben. Er war müde und er hatte Angst; das waren damals die beiden Konstanten in seinem Leben und nach einer Weile nahm er sie als selbstverständlich hin. Er wachte mit Angst auf – Angst, dass Katie sich im Schlaf falsch umgedreht hatte und erstickt war, Angst, dass es weiter bergab ging mit der Wirtschaft und er schließlich seinen Job verlieren würde, Angst, dass Katie in der Schule in der Pause vom Klettergerüst fiele, Angst, dass sie etwas brauchte, was er ihr nicht geben könnte, Angst, dass sein Leben, diese ewige Schinderei aus Angst, Liebe und Erschöpfung, ewig so weiterginge.
Diese Erschöpfung hatte Jimmy an dem Tag mit in die Kirche genommen, als einer von Annabeths Brüdern, Val Savage, Terese Hickey heiratete. Braut und Bräutigam waren hässlich, zornig und klein. Jimmy stellte sich vor, dass sie statt Kindern einen Wurf Jungtiere bekämen und eine Horde mopsgesichtiger, tobender Knäuel aufzögen, die man nicht unterscheiden konnte und die in den kommenden Jahren durch die Buckingham Avenue marodieren würden, ständig kurz vor einem Wutausbruch stehend. Val hatte für Jimmy gearbeitet, als Jimmy noch eine Gang hatte. Er war Jimmy dankbar, stellvertretend für die Gang eine harte zweijährige Haftstrafe und drei Jahre Bewährung auf sich genommen zu haben, obwohl jeder wusste, dass Jimmy sie alle hätte verpfeifen können. Val mit den winzigen Gliedmaßen und dem mickrigen Hirn hätte Jimmy wohl komplett zu seinem Gott erhoben, wenn Jimmy nicht eine Schnalle aus Puerto Rico geheiratet hätte, die auch noch aus einem anderen Viertel stammte.
Als Marita gestorben war, flüsterte man in
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