Mystic River
Seine Stimme war monoton, dann atmete er plötzlich laut ein und seine rechte Gesichtshälfte verzog sich, als hätte ihm jemand ins Auge gestochen.
»Warum sagen Sie das?«, wollte Sean wissen.
»Sie hatte Angst vor ihm. Sie ist mal mit ihm gegangen und sie meinte immer, er würde uns beide umbringen, wenn er das mit uns rausfinden würde.«
Sean schaute zu Brendans Mutter hinüber, weil er hoffte, sie würde irgendeine Reaktion zeigen, aber sie rauchte einfach nur, blies den Qualm aus und hüllte den ganzen Tisch in eine graue Wolke.
»Sieht aus, als hätte Bobby ein Alibi«, erklärte Whitey. »Sie auch, Brendan?«
»Ich hab sie nicht umgebracht«, stieß Brendan Harris flach hervor. »Ich könnte Katie nichts zuleide tun. Niemals.«
»Noch mal«, sagte Whitey. »Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
»Freitagnacht.«
»Um wie viel Uhr?«
»So gegen acht wohl.«
»So gegen acht wohl, Brendan, oder um acht Uhr?«
»Weiß nicht.« Unsicherheit spiegelte sich auf Brendans Gesicht wider. Er legte die Hände ineinander und wiegte sich vor und zurück. »Ja, um acht. Wir haben ein paar Stücke Pizza im Hi-Fi gegessen, ja? Und dann … dann musste sie gehen.«
Whitey schrieb: »Hi-Fi, 20 th, Fr.« in sein Notizheft. »Wo musste sie hin?«
»Weiß nicht«, wiederholte Brendan.
In dem Berg von Stummeln, die sich im Ascher angehäuft hatten, drückte die Mutter ihre Zigarette aus. Dabei entzündete sich jedoch eine andere, so dass eine Rauchfahne aufstieg und sich in Seans Nase stahl. Esther steckte sich sofort die Nächste an, und Sean konnte sich sehr gut ihre Lunge vorstellen – knotig und schwarz wie Ebenholz.
»Brendan, wie alt sind Sie?«
»Neunzehn.«
»Und wann haben Sie die Highschool absolviert?«
»Absolviert«, wiederholte Esther.
»Ich, Ähm, hab letztes Jahr meinen Abschluss nachgeholt«, erwiderte Brendan.
»Also, Brendan«, sagte Whitey. »Sie haben also keine Ahnung, wo Katie am Freitagabend nach Ihrem Treffen im Hi-Fi hingegangen ist?«
»Nein«, antwortete Brendan und das Wort erstarb ihm auf den Lippen, seine Augen wurden rot. »Sie hat sich ab und zu mit Bobby getroffen, aber der drehte ständig durch, weil er sich mit der Trennung nicht abfinden wollte. Katies Vater kann mich aus irgendeinem Grund nicht ab, deshalb mussten wir das mit uns geheim halten. Manchmal hat sie mir nicht erzählt, wo sie hinwollte, weil sie vielleicht Bobby traf, nehme ich an, um ihm klar zu machen, dass es aus war zwischen ihnen. Keine Ahnung. An dem Abend meinte sie nur, sie würde nach Hause gehen.«
»Jimmy Marcus kann Sie nicht leiden?«, fragte Sean. »Warum nicht?«
Brendan zuckte mit den Schultern. »Keinen blassen Schimmer. Aber er hat Katie gesagt, er will sie niemals mit mir zusammen sehen.«
»Was?«, rief seine Mutter. »Dieser Dieb glaubt, er wär was Besseres als wir?«
»Er ist kein Dieb«, entgegnete Brendan.
»Er war ein Dieb«, sagte die Mutter. »Das weißt du wohl nicht, du Klugscheißer, was? Er war früher so ‘n richtiger Dreckseinbrecher. Hat seine Tochter bestimmt von ihm geerbt. Die wär genauso schlimm geworden. Kannst von Glück sagen, Junge!«
Sean und Whitey warfen sich Blicke zu. Esther Harris war wohl die erbärmlichste Frau, die Sean je gesehen hatte. Sie war abgrundtief böse.
Brendan Harris öffnete den Mund und wollte etwas zu seiner Mutter sagen, schloss ihn aber wieder.
Whitey ergriff das Wort: »Katie hatte Prospekte von Las Vegas im Rucksack. Wir haben gehört, sie wollte dahin. Mit Ihnen, Brendan.«
»Wir …« Brendan hielt den Kopf gesenkt. »Ja, wir wollten nach Vegas. Wir wollten heiraten. Heute.« Er hob den Kopf und Sean sah, dass Brendan Tränen in den Augen standen. Brendan wischte sie mit dem Handrücken weg, bevor sie herunterkullern konnten, dann sagte er: »Ich meine, das hatten wir wenigstens vor.«
»Du wolltest abhauen?«, fragte Esther Harris. »Ohne ein Wort zu sagen?«
»Ma, ich …«
»Wie dein Vater? Ja? Mich mit deinem kleinen Bruder allein lassen, der das Maul nicht aufkriegt? Das hattest du vor, Brendan?«
»Mrs. Harris«, unterbrach Sean sie, »wenn wir uns bitte auf das dringliche Thema konzentrieren könnten. Brendan hat hinterher noch genügend Zeit, Ihnen alles zu erklären.«
Sie warf Sean einen Blick zu, den er bei einer Menge hart gesottener Knackis und auch bei normalen Irren gesehen hatte, ein Blick, der besagte, er sei die Mühe zwar nicht wert, aber wenn er so weitermache, würde sie sich ihn so gründlich
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