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Mystic River

Titel: Mystic River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Cocktailparty, auf der Künstler mit Pferdeschwanz (darunter seine Frau) die ganze Nacht über die Ursache menschlicher Gewalt diskutierten. Dabei war die Antwort ganz einfach: Menschen waren dumm. Affen. Sie waren noch schlimmer, weil Affen sich nicht wegen Lottoscheinen umbrachten.
    Sie sagte ihm, er würde hart, unzugänglich und beschränkt in seinem Denken. Aber er antwortete nicht, weil er ihr nicht widersprechen konnte. Die Frage war nicht, ob er so geworden war, sondern ob das gut oder schlecht war.
    Und trotzdem hatten sie sich geliebt. Auf ihre eigene Art hatten sie es weiterhin versucht – Sean hatte versucht, seinen Panzer aufzubrechen, und Lauren hatte sich bemüht, seinen Panzer zu durchdringen. Was es auch war, das zwei Menschen miteinander verband, dieses dringliche, physische Bedürfnis, einander nah zu sein, sie hatten es besessen. Immer.
    Trotzdem, er hätte den Seitensprung kommen sehen müssen. Hatte er vielleicht auch. Und vielleicht war es nicht der Seitensprung, der ihn wirklich gestört hatte, sondern die darauf folgende Schwangerschaft.
    Scheiße. Er setzte sich auf den Küchenfußboden, fühlte die Abwesenheit seiner Frau, drückte die Handballen gegen die Stirn und versuchte zum zigsten Mal, seine zerstörte Ehe deutlich vor sich zu sehen. Aber er sah nichts als die Splitter und zerbrochenen Teile, die in den Winkeln seines Kopfes verstreut herumlagen.
    Als das Telefon klingelte, wusste er sofort – noch bevor er es vom Tresen nahm und den Annahmeknopf drückte –, dass sie es war.
    »Hier Sean.«
    Am anderen Ende hörte er das dumpfe Tuckern eines Sattelschleppers im Leerlauf und das weiche Rauschen von vorbeirasenden Autos. Sofort hatte er ein Bild vor Augen – eine Raststätte auf der Autobahn, oben die Tankstelle, zwischen dem Roy Rogers und dem McDonald’s eine Reihe von offenen Telefonzellen. In einer stand Lauren und presste den Hörer ans Ohr.
    »Lauren«, sagte er. »Ich weiß, dass du es bist.«
    Jemand ging mit klimpernden Schlüsseln an der Telefonzelle vorbei.
    »Lauren, sag doch was!«
    Der Sattelschlepper schaltete in den ersten Gang und das Geräusch des Motors änderte sich beim Anfahren.
    »Wie geht’s ihr?«, fragte Sean. Fast hätte er hinzugefügt: »Wie geht’s meiner Tochter?«, aber er wusste ja nicht, ob es seine war, er wusste nur, dass es Laurens war. Deshalb fragte er noch mal: »Wie geht’s ihr?«
    Der Lkw schaltete in den zweiten Gang. Das Knirschen seiner Reifen auf dem Kies entfernte sich immer mehr, als er auf die Ausfahrt zufuhr.
    »Das tut mir zu sehr weh«, sagte Sean. »Kannst du nicht einfach mit mir reden?«
    Ihm fiel wieder ein, was Whitey zu Brendan Harris über die Liebe gesagt hatte, dass die meisten Menschen sie nicht ein einziges Mal erlebten, und er sah, wie seine Frau dastand, dem Lkw hinterhersah, den Hörer ans Ohr drückte, aber nicht an den Mund. Sie war eine große, schlanke Frau, ihr Haar hatte die Farbe von Kirschholz. Wenn sie lachte, hielt sie die Hand vor den Mund. Auf dem College waren sie zusammen im Regen über den Campus gelaufen und im Bogengang zur Bibliothek, wo sie sich untergestellt hatten, hatte sie ihn zum ersten Mal geküsst, und als sie ihre nasse Hand in seinen Nacken legte, hatte sich etwas in Seans Brust gelöst, das verkrampft und atemlos gewesen war, solange er sich erinnern konnte. Sie hatte ihm gesagt, er besitze die schönste Stimme, die sie je gehört habe, sie klinge nach Whiskey und Holzrauch.
    Seit ihrem Auszug hatte es sich so eingespielt, dass er redete, bis sie auflegte. Sie hatte noch nie etwas gesagt, bei keinem einzigen der Anrufe, die er seither erhalten hatte: Anrufe von Rastplätzen, aus Motels und staubigen Telefonzellen, entlang öder Straßen von Boston bis zur mexikanischen Grenze und zurück. Obwohl er meistens nur Hintergrundgeräusche hörte, wusste er doch immer, dass sie es war. Er konnte sie durch die Leitung fühlen. Manchmal konnte er sie riechen.
    Die Gespräche – wenn man sie so nennen wollte – dauerten bis zu fünfzehn Minuten, je nachdem wie viel er erzählte, aber heute Abend war Sean erschöpft und müde davon, sie zu vermissen, eine Frau, die ihn eines Morgens, im siebten Monat schwanger, verlassen hatte. Außerdem hatte er es satt, dass sie der einzige Mensch war, für den er überhaupt noch etwas empfand.
    »Ich kann das heute nicht«, sagte er. »Ich bin verdammt müde, mir tut alles weh und ich bedeute dir so wenig, dass du mich nicht mal deine Stimme hören

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