Mystic River
Davenport?«
»Ja.« Die Augen der Schönen traten noch etwas weiter hervor. »Warum?«
»Ihre Mutter hat vor Ihrer Geburt wohl ständig Soaps geguckt, was?«
»Roman?«, sagte Michaela hilfesuchend.
Roman hob eine Hand und sah Whitey an. »Ich hab doch gesagt, sie hat nichts damit zu tun, oder?«
»Eingeschnappt, Roman? Machen Sie jetzt hier einen auf Christopher Walken, machen Sie einen auf stark? Haben Sie das vor? Weil, ich meine, wir könnten ja eine kleine Spazierfahrt machen, bis Ihr Alibi überprüft ist. Könnten wir. Schon Pläne für morgen?«
Roman zog sich dahin zurück, wohin alle Verbrecher verschwanden, wenn sie von einem Bullen angemacht wurden. Sean hatte es schon oft gesehen: Sie zogen sich in einen Abgrund ihrer Seele zurück, der so tief war, dass man schwören möchte, sie hätten zu atmen aufgehört. Man sah nur noch ihre ausdruckslosen Augen, dunkel, desinteressiert, schrumpfend.
»Nichts für ungut, Sergeant«, sagte Roman mit flacher Stimme. »Aber ich gebe Ihnen gerne eine Liste mit den Namen der Leute, die mich auf der Fete gesehen haben. Und mit Sicherheit wird der Barkeeper vom Last Drop, Todd Lane, bestätigen, dass ich die Kneipe nicht vor zwei verlassen habe.«
»Braver Junge«, antwortete Whitey. »Und was ist mit Ihrem Kumpel Bobby? Wo finden wir den?«
Roman gestattete sich ein breites Grinsen. »Das wird Ihnen gefallen!«
»Was denn, Roman?«
»Wenn Sie glauben, dass Bobby was mit Katherine Marcus’ Tod zu tun hat, dann wird Ihnen das richtig gefallen.«
Roman richtete seinen Raubtierblick kurz auf Sean, der die Erregung wieder aufflammen spürte, die seit Eve Pigeons Erwähnung von Roman und Bobby verloschen war.
»Bobby, Bobby, Bobby«, seufzte Roman und zwinkerte seiner Freundin zu, bevor er sich wieder Sean und Whitey zuwandte. »Bobby wurde Freitagabend wegen Trunkenheit am Steuer verknackt.« Roman trank noch einen Schluck, spannte sie auf die Folter. »Er war das ganze Wochenende im Knast, Sergeant.« Roman zeigte abwechselnd auf Sean und Whitey. »Checkt ihr solche Sachen nicht ab?«
Sean saß der Tag in den Knochen, er bohrte sich in sein Knochenmark, als die Trooper funkten, Brendan Harris sei mit seiner Mutter nach Hause gekommen. Um elf Uhr kamen Sean und Whitey an, setzten sich mit Brendan und seiner Mutter Esther in die Küche und Sean dachte: Gott sei Dank werden solche Wohnungen heute nicht mehr gebaut. Sie erinnerte ihn an eine alte Fernsehsendung, die man nur in Schwarz-Weiß auf einem winzigen Bildschirm richtig genießen konnte, der vor elektrischer Spannung und schlechtem Empfang krisselte. Die Wohnung glich einem Eisenbahnwaggon: Die Eingangstür war genau in die Mitte gesetzt, so dass man vom Treppenhaus direkt ins Wohnzimmer gelangte. Rechts neben dem Wohnzimmer befand sich ein kleines Esszimmer, das Esther Harris als Schlafzimmer benutzte. Ihre Bürsten, Kämme und Puderdöschen verwahrte sie in der baufälligen Vorratskammer. Dahinter lag das Zimmer, das sich Brendan mit seinem kleinen Bruder Raymond teilte.
Links vom Wohnzimmer war ein kleiner Gang, von dem rechts wiederum ein schiefes Badezimmer abzweigte, dann kam hinten in der Ecke die Küche, in die die Sonne höchstens eine Dreiviertelstunde am Spätnachmittag schien. Die Küche war in verblichenem Grün und schmierigem Gelb gehalten und Sean, Whitey, Brendan und Esther saßen an einem kleinen Tisch mit Metallbeinen, dem ein paar Schrauben fehlten. Die Tischplatte war mit einer gelbgrünen Blumenfolie beklebt, die an den Ecken abblätterte und der in der Mitte fingernagelgroße Stücke fehlten.
Esther sah aus, als gehöre sie hierher. Sie war klein, verhärmt und konnte genauso gut vierzig wie fünfundfünfzig sein. Sie roch nach brauner Seife und Zigarettenqualm und ihr elendiges, blau getöntes Haar passte zu den elendigen blauen Adern an ihren Unterarmen und Händen. Sie trug ein verwaschenes rosa Sweatshirt, Jeans und fusselige schwarze Hausschuhe. Sie rauchte Kette und sah zu, wie Sean und Whitey mit ihrem Sohn redeten. Sie wirkte vollkommen gelangweilt, obwohl sich die Männer bei der Befragung die größte Mühe gaben, aber ihr blieb ja nichts anderes übrig, als das hier alles über sich ergehen zu lassen.
»Wann haben Sie Katie Marcus zum letzten Mal gesehen?«, fragte Whitey Brendan.
»Bobby hat sie umgebracht, stimmt’s?«, meinte Brendan.
»Bobby O’Donnell?«, fragte Whitey zurück.
»Ja.« Brendan knibbelte an der Tischfolie. Er schien unter Schock zu stehen.
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