Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
butterweich. Auf der Toilette erbrach sie sich, spülte ihren Mund aus und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Sie vermied einen Blick in den Spiegel, raffte den Morgenmantel um ihren zitternden Körper und trat um Fassung ringend zurück in das Hotelzimmer.
In Filmen erlebten junge Frauen stets grausige Dinge und waren mutig und unerschütterlich. Okay, sie schrien hin und wieder , aber letztendlich waren sie … cool !
Rita war nicht cool, sie war erschüttert und desorientiert.
Peter stand an der Minibar und leerte eine Colaflasche. Gierig trank er, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und sagte: »Ich hoffe, es geht dir jetzt etwas besser.«
Rita nickte. Noch immer fehlten ihr die Worte. Richard, dieser unheimliche Mann, war Peters Bruder?
»Er hat es verdient ... er war ein - Killer!« Peter blickte über den Rand seines Glases zu Rita hin. »Wir müssen hier verschwinden.«
»Moment.« Rita machte eine abwehrende Handbewegung. »Moment. So einfach ist das nicht! Glaubst du nicht, dass du mir jetzt endlich eine Erklärung schuldig bist?«
Peter lächelte sanft. »Du hast Recht, Rita. Du solltest dich aber noch etwas gedulden. Fürs Erste wäre es wirklich besser, du ziehst dich an, damit wir von hier verschwinden können.«
Wieder fiel Ritas Blick auf den Körper des Toten. Während sie im Badezimmer gewesen war, hatte Peter die Bettdecke über ihn gebreitet .
»Okay! Aber lass’ dir nicht zu viel Zeit mit deiner Erklärung«, nickte Rita knapp. Sie würde sich also umziehen. Verlegen blieb sie stehen.
»Ich werde mich etwas frisch machen«, sagte Peter und trat an ihr vorbei ins Badezimmer.
Rita hielt in am Arm fest.
Sie drehte Peter zu sich hin. Ihre Blicke trafen sich.
Die Zeit schien stillzustehen.
Es gab keinen Richard mehr, keine Fragen, keine Rätsel, keine Angst.
In diesem Augenblick existierten nur sie beide.
Würden sie sich küssen?
Jetzt?
Hier?
Peter schüttelte sanft den Kopf. Seine Augen blickten voller Qual. Seine Mundwinkel zuckten. »Nein, Rita ... du wirst bald alles verstehen.«
»Ich weiß, was ich für dich empfinde.«
»R ede nicht weiter, bitte …«, flehte er. »Mir ...« Er räusperte sich. »Mir geht es nicht anders, Rita. Mir geht es, verdammt noch mal, nicht anders! Aber ich kenne das. Es ist, weil ich dich heilte, es sind meine Schwingungen in dir … es ist falsch, verstehst du? So schnell kann man sich nicht in einen anderen Menschen …«
»Peter …«
»Nein, Rita.«
Er ließ sie stehen und hinter ihm knallte die Badezimmertür zu.
Grelle Scheinwerfer durchbohrten die eiskalte Dunkelheit, die über dem Gletscher lag. Mehr als ein Dutzend Menschen arbeiteten unter diesen Lichtern. Hämmern, Sägen und Stimmengewirr sorgten hier oben, in 4350 Meter Höhe, für eine ungewöhnliche Klangkulisse.
»Das Licht auf den Meister!«
Der Spot traf den großen Dragus und hüllte ihn in ein gespenstisches Licht.
»Fahr’ näher ran mit der Eins!«
Befehle schwirrten durcheinander.
»He, du Tölpel , er sieht aus wie ein Geist, geb mal nen Filter davor! Wenn das nicht klappt, machen wir es mit der Greenscreen. «
Sekunden später war der große Dragus in das richtige Licht getaucht. Er stützte sich mit den Handflächen auf seinem Rednerpult ab, lächelte charmant und sah nun tatsächlich aus wie der nette Onkel von nebenan - oder wie ein überaus erfolgreicher Psychologe.
Ein Mädchen sprang herbei und puderte ihm den Kahlkopf. Der große Dragus ließ das alles regungslos über sich ergehen, lediglich seine Augen funkelten leidenschaftlich.
Licitus, der etwas abseitsstand, beobachtete die unwirkliche Szenerie.
Der große Dragus winkte ihn heran. Die Schultern demütig gesenkt, stapfte Licitus durch den festgetretenen Schnee.
»Wie gefällt dir das, Rechte Hand?« Der große Dragus machte eine umfassende Geste.
Licitus nickte und schwieg.
»Sind sie nicht wunderbar? Schau nur, wie sie sich anstrengen, um den heutigen Tag gebührend zu feiern. Schon die Tatsache, dass wir Redakteure des größten Fernsehsenders der Schweiz und Deutschlands hier haben, zeigt, wie wichtig wir für die Menschheit sein werden.«
Licitus schwieg weiterhin.
»Ich liebe sie alle - alle meine Jünger. Sie haben mein Buch studiert und tragen meine Lehren in das Land hinaus. Sie wissen, dass sie unsterblich sind.« Der große Dragus räusperte sich gerührt , und für einen Moment versagte ihm seine Stimme den Dienst. »Sind die Auserwählten schon informiert?
Weitere Kostenlose Bücher