Mystic
Sie? Wie in Gottes Namen soll eine Sioux nach Vermont gekommen sein?«
»Das versuchen wir gerade herauszufinden«, sagte Andie.
Der Monsignore zögerte. »Und deswegen wollten Sie also die Taufurkunden durchsehen?«
»Ja, genau.«
Der Priester lachte gezwungen. »Na, also ich kann Ihnen versichern, dass in unseren Dokumenten keine Sioux zu finden sind.«
»Wir haben nicht erwartet, sie in den Dokumenten zu finden«, antwortete Andie. »Aber Personen, die sie vielleicht gekannt haben.«
Er verschränkte seine fleischigen Arme. »Was hat das alles zu bedeuten?«
»Sagen wir mal, ich habe den Verdacht, dass diese Sarah, eine Sioux-Frau, vor hundert Jahren hier in Lawton umgebracht wurde.«
»Vor hundert Jahren?!«, rief Monsignore McColl aus. »Nehmen Sie’s mir nicht übel, Andie, aber ist dies die beste Art und Weise, Steuergelder auszugeben?«
»Wenn es mit den beiden Morden hier zu tun hat, wie ich vermute, ja.«
»Den beiden Morden?«
»Hank Potter«, sagte Gallagher. »Und Olga Dawson.«
»Olga Dawson«, wiederholte der Priester langsam und rollte die Worte kleinlaut in seinem Mund. Er starrte auf das Vogelbecken draußen im Garten. »Niemand hat mir das gesagt. Ich muss morgen die Totenmesse für sie lesen.«
»Vielleicht können Sie uns ja helfen«, sagte Andie.
Er betupfte sich wieder die Stirn mit seinem Taschentuch und wandte sich ihnen zu. »Ja, ja, natürlich, alles, was Sie wollen, Andie.«
Libby Curtin kehrte leise in den Raum zurück und schloss die Tür hinter sich.
Gallagher sagte: »Wir möchten eine komplette Liste der Gemeindemitglieder zusammenstellen, die 1894 in der St.-Edwards-Gemeinde aktiv gewesen sind.«
Der Priester schwieg einen Augenblick, sein Kinnladen bewegte sich, als kaute er oder redete mit sich selbst. Dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück. »Ich fürchte, die Urkunden wären Ihre beste Hilfe gewesen.«
»Sackgasse?«, fragte Andie.
»Tut mir leid.«
»Monsignore?«, mischte sich die Sekretärin schüchtern ein.
»Ja, Libby, was ist denn?«
»Entschuldigung, Monsignore, aber wenn sie die alte Liste der Gemeindemitglieder haben wollen, dann weiß ich, wo wir sie finden können.«
22
Sonntag, 18 . Mai
Ein leichter Nieselregen fiel, als Gallagher und Andie drei Tage später an dem Dorf Cartersburg im mittleren Süden Vermonts vorbeifuhren.
»McColl verheimlicht was vor uns«, sagte Gallagher.
»Das hast du mindestens schon fünfundzwanzigmal gesagt, seit wir sein Büro verlassen haben«, antwortete Andie säuerlich. »Ich finde, er sah aus wie jemand, der seine Magengrippe nicht loswerden kann.«
»Ich sage ja nur, was ich gesehen habe.«
»Ich hab dich schon beim ersten Mal verstanden. Wir waren uns einig, dass wir uns darauf konzentrieren wollen, die Tagebuchbesitzer zu finden, erinnerst du dich?«
Ihre Beziehung war in den vergangenen Tagen deutlich abgekühlt. Nach dem Besuch im Pfarrhaus hatte Gallagher den Fehler gemacht, noch einmal nach Chief Kerris zu fragen. Seither gab es Spannungen zwischen ihnen. Eine innere Stimme sagte Gallagher, er solle seine Unterstützung zurückziehen und sich lieber um Pater D’Angelo kümmern. Doch dann kam immer wieder die Erinnerung an seinen Traum von Many Horses, und der Gedanke aufzuhören wurde sofort wieder aufgegeben.
»Das da drüben auf der rechten Seite muss die Einfahrt zu Nyrens Haus sein«, sagte Gallagher und sah auf den Ordner und die Landkarte auf seinem Schoß.
Ihren Unterlagen nach gehörte die Einfahrt zum Hause David Nyrens, des Bibliotheksdirektors von Cartersburg. Nyren war der einzige lebende Nachkomme von Martha und Paul Nyren, die ihrerseits in der mütterlichen Linie von Arthur Webb abstammten, einem wichtigen Mitglied der St.-Edwards-Gemeinde und dem ehemaligen Polizeikommandanten der Stadt Lawton in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Libby Curtin hatte ihnen eine Akte in der Historischen Gesellschaft von Lawton genannt, die Namenlisten der »Columbusritter« und des Gemeinderats von St. Edwards der letzten hundertfünfundzwanzig Jahre enthielt. Diese Listen lieferten ihnen zweiunddreißig Namen. Sie hatten zwei Tage dazu gebraucht, achtzehn der zweiunddreißig weiterzuverfolgen, indem sie die staatlichen und örtlichen Geburts- und Sterberegister, das Internet und Telefonverzeichnisse auf CD -ROM benutzten, um hundertsechsundsiebzig mögliche Nachkommen zu identifizieren, von denen siebenundsechzig im Staat Vermont lebten. Bevor sie für die verbleibenden vierzehn
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