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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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landete und an den Samenkapseln pickte. Die blutroten Hülsenhälften fielen aus ihren Schnäbeln wie der Schorf von einer frischen Wunde. Zinnfarbene Wolken brachen hinter den Vögeln auf. Die Sonne stieg und tauchte den Himmel in rosarotes Licht.
    Andies Brüste drückten sich weich gegen seinen Rücken. Ab und zu ließ sie sanfte Schlaftöne vernehmen, die ihm wie die beruhigendsten Geräusche vorkamen, die er seit langem gehört hatte. Ihr Arm lag quer über seiner Brust.
    Sie hatten sich so viel Zeit gelassen. Jedes Mal, wenn Andie sich bei seiner Berührung oder unter seinem Kuss verspannte, hatte Gallagher sich zurückgezogen und gewartet, bis sie die Barriere überwinden konnte, die sie vor sich sah. Irgendwann mitten in der Nacht waren sie endlich vereint, und sie schrien beide auf in dem erlösenden Moment, dessen Tiefe sie erstaunte.
    Gallagher wusste, er hätte zufrieden sein sollen, hier so zu liegen. Doch stattdessen fühlte er sich bedroht. Andie war fähig, die gläsernen Kästen in seinem Kopf zu öffnen, ihn dazu zu bringen, so zu fühlen, wie er es nicht für möglich gehalten hatte. Und ihm wurde bewusst, dass ihn aus irgendeinem Grund das Anschwellen dieses seltsamen Gefühls in ihm genauso ängstigte wie der Gedanke, Charun wiederzubegegnen. Er versuchte, sich unter ihrem Arm herauszuwinden, aber es gelang ihm nicht, und so lag er einfach da und starrte abwesend in den Sonnenaufgang hinaus und bemühte sich, über die Morde nachzudenken und das Tagebuch von Many Horses, um nicht über Andie Nightingale nachdenken zu müssen.
    Die letzte Nachricht von Charun klang noch in ihm nach:
    Angel hat gesagt, es gebe viele Arten, zu gehen und zurückzukehren. Meine Persephone sagte, wir könnten uns durch die Mischung des Schamanen und den Strick am nächsten kommen. Sie schwoll zu einer köstlichen Enge um mich herum an. Sie wand sich und stöhnte: »Vida!«
    Der Pilz stieg mir zu Kopf, und ich kam hoch, mit ausgebreiteten Armen, hart und stark mit dem Strick. Persephone hat mich allein gelassen. Blind und taub und stumm.
    Doch jetzt öffnet sich mein Mund und schmeckt das Geheimnis. Und das Licht erreicht meine Augen.
    Wer war der alte Mann in den anderen Briefen?, fragte sich Gallagher. War es Charuns Vater? Er erinnerte sich nicht an irgendeine vaterähnliche Figur in den Charun-Mythen. Was war das für ein Ort, zu dem Charun und der Engel gehen und von wo sie zurückkehren wollten? Der Rauch und der Strick? Das Bild des Anschwellens deutete auf Sex. Doch weshalb keuchte Angel »Leben« auf Spanisch? Und wo war sie hingegangen, nachdem sie Charun verlassen hatte? Weshalb fiel durch die Morde Licht in Charuns Augen? Was hatte dies alles mit den Morden und dem Tagebuch zu tun? Und warum hatte Charun »Angel« geflüstert, bevor er im Wald auf Andie schoss?
    Im Hintergrund all dieser Fragen, die Gallagher sich stellte, gab es eine wesentlichere, vielleicht noch beunruhigendere Frage: Wie war Gallagher so tief in dies alles verwickelt worden, wo er doch in der Hoffnung, fliehen zu können, nach Vermont gekommen war?
    Dann schlug die Erschöpfung wie eine Welle über Gallagher zusammen. Seine Lider wurden schwer und zitterten, schlossen sich schließlich ganz, und trotz seiner Bemühungen, wach zu bleiben, fiel er in den ansteckenden Rhythmus von Andies Schlaf ein.
     
    In Gallaghers Traum zog Nebel an einem Flusslauf entlang, der von Bäumen mit silbriger Borke gesäumt war. Die Luft roch nach Zedernharz. Der Nebel riss auf, und seine Mutter wankte singend auf ihn zu, um gleich darauf zu Emily zu werden, die aus einer Klinik in Paris schlurfte. Es war ein warmer, sonniger Julitag. Sie hielt sich den Bauch, als hätte sie plötzlich Schmerzen bekommen. Gallagher rannte durch den Verkehr zu ihr hinüber.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ich werd’s überleben«, antwortete Emily mit versteinertem Gesicht. Ihre sonst so glänzenden smaragdgrünen Augen waren in den zwei Stunden in der Klinik stumpf geworden.
    »Hier, nimm meinen Arm. Wir gehen gleich ins Hotel und ruhen uns für den Rest des Tages aus.«
    »Warum haben wir das gemacht, Pat?«
    »Na komm. Das haben wir doch gestern Abend so beschlossen. Fang jetzt nicht an, dir den Kopf darüber zu zerbrechen, Em«, bat er sie.
    »Mir war aber nicht klar, was ich da eigentlich beschlossen habe.«
    »O doch, das war es«, sagte Gallagher.
    »Ich habe nicht beschlossen, dass ich mich so fühlen werde, wie ich mich jetzt fühle!«, rief sie schluchzend. Sie ballte die

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