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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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sich an die Stubbins. Gallagher fand sie in einem waldgrünen Ranchhaus an einem Hang über dem Lake Champlain, ein Stück südlich von Ferrisburg.
    Ihr Wohnzimmer sah aus wie eine Krankenstation: ein weißes, verstellbares Bett, ein Rollstuhl, eine Sauerstoffflasche, ein alter metallener Fernsehtisch voller Medikamente, zusammengefaltete Decken auf dem Sofa, wo Cornelia schlief. Über allem lag der scharfe Geruch von einem antiseptischen Reinigungsmittel.
    »Der klügste Bursche, den ich je im Heim erlebt habe«, sagte Stubbins. »Der las alles. Doch mein Schätzchen hat recht: Terrance war eine Spinne.«
    Cornelia ließ die Zunge über ihren rechten Zahn fahren und schnalzte zustimmend. »Der wartete nur darauf, dass man ihm ins Netz ging.«
    »Warum meinen Sie, dass er eine Spinne war?«
    Stubbins warf seiner Frau einen schnellen Blick zu. Auf zwei Gehstöcke gestützt, stand sie aus ihrem Sessel auf. »Na, mach schon weiter!«, rief sie und schüttelte einen Stock in seine Richtung. »Du hast doch immer gesagt, dass wir es jemand erzählen sollen, damit die Leute es erfahren. Jetzt ist es bald aus mit dir. Hier hast du deine Chance.«
    Der sterbende Mann zögerte.
    »Na, mach schon!«, rief Cornelia noch einmal aus.
    »Gib uns erst einen Zug«, krächzte er.
    In immer neuen heiseren Anläufen, die von Zigarettenpausen und Erstickungsanfällen unterbrochen wurden, kam in der folgenden Stunde die ganze schändliche Geschichte heraus. Terrance Danby war gegen Ende des Jahre 1968 nach Hennessy House gekommen, ein Zehnjähriger mit dem erstarrten Blick eines Rehs, das in Scheinwerferlicht gerät, der gleiche Blick, den Kinder bekommen, wenn sie einen traumatischen Verlust erlebt haben. Doch hinter dem Blick lag eine tiefe, unerschütterliche Verschlagenheit.
    »Spinnenaugen«, meinte Cornelia.
    »Jetzt reicht’s aber mit dem Spinnenquatsch!«, presste Stubbins heraus.
    »Du kannst sagen, was du willst«, erwiderte sie schnippisch, »genau so sahen sie aus.«
    Terrance entdeckte die Bibliothek und begann zu lesen. Zwei, manchmal drei Bücher am Tag. Wissenschaft, Romane, Biographien, Zeitungen, Zeitschriften. Alles, was gedruckt war. Als er zwölf wurde, hatte er den ganzen Shakespeare und die ganze Bibel gelesen und lernte Latein und Griechisch. Er hatte sich auch einen gefürchteten Ruf im Heim erworben. Einer der Jungen, ein großer Kerl namens Alan Haig, hänselte Terrance, weil er immerzu las. Terrance schluckte es lange Zeit – »wartete in seinem Netz auf die Fliege«, wie Cornelia es ausdrückte.
    Dann fand Stubbins eines Nachts, als er seine Runde machte, Haig in einem leeren Büro an einen Stuhl gefesselt. Haig war mit Isolierband geknebelt. Die Vorhaut seines Penis war an die Sitzfläche des Stuhls genagelt. Haig weigerte sich, irgendjemandem zu erzählen, was geschehen war.
    »Aber man konnte danach sehen, dass er eine Heidenangst vor Terrance hatte, einem Jungen, der nur halb so groß war wie er selbst«, meinte Stubbins. Er unterbrach sich und besah sich seine Hände. Seine Haut war von dunklen violetten Flecken übersät.
    »Du hast noch längst nicht alles erzählt«, trieb ihn Cornelia an. »Na, mach schon weiter.«
    Stubbins holte tief und gurgelnd Luft. »Wir wissen doch gar nicht genau, was passiert ist, Schätzchen. Vielleicht ist es besser, das alles auf sich beruhen zu lassen.«
    »Das wäre nicht in Ordnung, Oscar, das weißt du genau«, protestierte seine Frau. »Wenn du es nicht erzählst, dann ist alles gelogen.«
    »Was ist gelogen?«, fragte Gallagher verwirrt dazwischen. Stubbins fuchtelte mit einem seiner knochigen Finger und krächzte: »Wir hatten mit dem allen nichts zu tun. Wir haben versucht, die Leute darauf aufmerksam zu machen … doch niemand wollte uns zuhören, bis es zu spät war.«
    Dann berichtete Stubbins, dass in dem Jahr, in dem Danby dreizehn wurde, die Diözese den Versuch unternahm, die chaotische Einrichtung zu retten, und einen jungen Priester als neuen Direktor einsetzte; sechs Jungen aus Hennessy waren im Jahr zuvor wegen verschiedener Vergehen von der Schule verwiesen worden. Der Priester war autoritär, größer, stärker, schneller und bösartiger als irgendeiner der Jungen aus dem Waisenhaus.
    »Wenn ein Kind aus der Reihe tanzte, dann holte er die Rotznase in sein Büro«, sagte Stubbins; er begann wieder zu husten und bedeutete seiner Frau wild fluchend, für ihn weiterzuerzählen.
    »Er verabreichte ihnen Prügel, sogar den größeren Jungs«, fuhr

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