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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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mit unserer Entscheidung in Paris. Du hast zugestimmt.«
    Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich bin vierunddreißig, Pat. Dies ist für mich nicht mehr abstrakt.«
    »Willst du damit sagen, dass es für mich abstrakt gewesen ist?«, fragte Gallagher.
    »Für dich ist das ganze Leben abstrakt!«, rief Emily. »Du hast die ganzen Jahre über Kulturen und Religionen studiert und gefilmt, aber du selbst glaubst kein Wort davon! Du hast keinen Sinn darin entdecken können oder überhaupt in irgendetwas – Leben, Gott, Tod, Seele … ich. Wir sind alle abstrakt für dich!«
    »Das ist ungerecht!«, schrie er zurück.
    »Vielleicht ist es das, aber es ist auf jeden Fall wahr«, sagte Emily und stand auf. Sie schniefte, wischte sich die Nase mit dem Ärmel ihres Baumwollpullovers und rang um Fassung. »Ich hab für übermorgen einen Flug gebucht. Ich fahr jetzt zurück nach New York und packe.«
    »Darf ich dich wenigstens besuchen?«
    Emily zögerte einen Moment und presste dann heraus: »Nein.« Sie wandte sich um und rannte den Pfad hinauf. Gallagher sah ihr hinterher, wie er als Kind seine Eltern angesehen hatte – wie durch Rauchglas.
     
    Als er jetzt neben Andie in der Dunkelheit lag, wurde sich Gallagher bewusst, dass seine Gedanken sich im Kreis drehten. Die Bilder kreuzten sich und wirbelten durcheinander. Emily. Andie. Dann Many Horses und nun Terrance Danby, wie er Jungen durch halbdunkle Korridore zu Monsignore McColl führte. Mike Kerris wies seinen Kumpels den Weg zu einem betrunkenen, unschuldigen Mädchen im verdunkelten Schlafzimmer eines Apartments. Bürgermeister Powell riss sich mit scharfen Fingernägeln das Zahnfleisch auf. Die Leichen von Hank Potter, Olga Dawson und David Nyren trieben in einem Fluss.
    Hinter sich hörte Gallagher ein leises Schniefen, und er wusste, dass Andie weinte. Seine Gedanken wurden schneller und rasten durch das gleiche kreisförmige Muster, wieder und wieder, immer schneller. Er hielt sich an der Matratzenkante fest und fragte sich, ob sich sein Vater wohl so gefühlt haben mochte in den letzten Tagen vor seinem Selbstmord.

33
    Donnerstag, 22 . Mai
    Andie knallte das Blaulicht auf das Dach ihres zerbeulten Pick-ups, trat aufs Gaspedal und fuhr mit großem Tempo durch den strömenden Regen nach Lawton.
    Weniger als eine Stunde war vergangen, seit Gallagher zum Flughafen in West Lebanon abgefahren war, weniger als zehn Minuten, seit sie den Anruf von Lieutenant Bowman erhalten hatte. Ihre Lippen brannten. Und ihre Fingerspitzen auch. Und ihre Kehle.
    »Fahren Sie sofort in die Stadt«, hatte Bowman ins Telefon gebellt. »Die Gemeindesekretärin von St. Edwards ist ermordet worden. Ihr Mann sagt, sie habe ein Stück des Tagebuchs einer Indianerin besessen. Charun hat Spuren hinterlassen. Eine Menge. Sehen Sie zu, dass Sie so schnell wie möglich da sind.«
    Am Otterslide General Store bog Andie mit quietschenden Reifen von der River Road auf die Hauptstraße. Sie klammerte sich mit weißen Fingerknöcheln ans Lenkrad. »Gott gebe mir die Ruhe, das hinzunehmen, was ich nicht ändern kann«, flüsterte sie. »Den Mut, das zu ändern, was ich ändern kann, und die Weisheit, den Unterschied zu erkennen.«
    Andie sprach das Gebet wieder und wieder leise vor sich hin und befahl sich dann, zehnmal tief durchzuatmen. Mit jedem Atemzug wurde sie etwas ruhiger.
     
    Libby Curtin hatte in einem zweistöckigen roten Haus im viktorianischen Stil am Ende der Front Street gewohnt. Ein schwarzer schmiedeeiserner Zaun trennte den Vorgarten von der Straße und von dem Kinderspielplatz nebenan. Auf halbem Wege zum Hauseingang befand sich ein Garten mit mehrjährig blühenden Pflanzen, in dessen Mitte eine bemalte Keramikstatue der Jungfrau Maria stand.
    Die Straße vor dem Haus war bereits zu einem Meer aus Regenschirmen und -mänteln geworden. Der Übertragungswagen einer Fernsehstation aus Burlington, der in der Stadt war, um eine Reportage über die Morde zu drehen, fuhr eben vor und parkte. Ein Kleinbus von CNN folgte ihm. Scheinwerferlicht ging an.
    Von der Veranda vor dem Haus gab Brigid Bowman, fast wie ein Gespenst in dem grauen strömenden Regen, ein paar Polizisten Anweisungen, die gelbes Absperrband um den schmiedeeisernen Zaun wanden. Im gleißenden Licht der Kamera sah ihr Gesicht älter, härter, fast körnig aus.
    Als sie Andie kommen sah, ließ sie die Polizisten allein und trat mit ihr hinter eine dichte Hecke aus Kletterpflanzen, die die Ostseite der Veranda

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