Mystic
Allen, der Gerichtsmediziner, kniete neben einem geflochtenen weißen Teppich auf der anderen Seite des Betts. »Andie?«, rief er. »Komm doch mal, und sieh dir das an.«
Sie ging mit Bowman um das Bett herum, und Allen strich über seine buschige Augenbraue, bevor er auf ein Häufchen Erde zeigte, das ein Stiefel am Ende des zwei Meter langen Teppichs hinterlassen hatte. Knapp achtzig Zentimeter von dem Erdhaufen waren ein Blutfleck und ein paar Schamhaare zu sehen. Der Teppich war aufgeschlitzt worden. Neben einem Brandloch lag ein fünf Zentimeter hohes Häuflein von etwas, das aussah wie verkohlter Tabak, vermischt mit kleinen Stückchen einer pilzähnlichen Substanz.
»Wie erklärst du dir das, Mel?«, fragte Andie.
»Er hat hier nach dem Mord gelegen«, sagte Allen mit einem angewiderten Gesichtsausdruck. »Seine Stiefel befanden sich da, wo das Erdhäufchen ist. Sein Penis lag bei den Schamhaaren. Und die Schnitte im Teppich – er hat auf den Boden eingehackt. Es ist, als könnte er seine Wut nicht bremsen.«
Andie kniete sich neben den Arzt und sah sich den Teppich, dann wieder den Brief an.
»Wie ist es möglich, dass jemand, der über genügend Intelligenz verfügt, einen solchen Brief zu schreiben und solche Zeichnungen in Folge anzufertigen, während des Mordens so völlig außer Kontrolle gerät?«
Allen zuckte die Achseln. »Es gibt Psychiater, die solche Sachen erklären können. Ich erzähle Ihnen nur, was er meiner Ansicht nach getan hat.«
Der Gerichtsmediziner beugte sich vor und nahm mit einer Pinzette zwei der verkohlten Pilzstückchen auf. Eins davon trug eine bläuliche Färbung am Stiel. Das andere sah aus wie ein Stück nasses Leder.
»Wir müssen es erst noch analysieren«, sagte Allen, »aber dies hier sieht aus wie ein psychedelischer Pilz. Das andere ist Peyote. Er raucht das Zeug, wahrscheinlich vermischt mit Marihuana und wer weiß was sonst noch, dem Geruch nach zu urteilen.«
»Kein Wunder, dass der Bursche ausflippt«, ließ sich Lieutenant Bowman hören.
»Nehmt den Teppich und alles andere mit und bringt es ins Labor nach Waterbury«, sagte Andie zu dem Spezialisten von der Spurensicherung, der hinter Allen stand. »Ich will jeden Zollbreit dieses Zimmers im Labor in Waterbury untersucht haben.«
Dann wandte sich Andie Lieutenant Bowman zu. »Wo ist denn Libbys Mann?«
Eddy Curtin hing in einem Schaukelstuhl in einer Ecke seiner verwüsteten Küche. Der junge Snowboard-Fabrikant starrte mit dem Blick eines Verdammten in seine leere Espressotasse. Seine strähnigen dunkelblonden Haare hingen ihm ins Gesicht. Sein khakifarbenes Arbeitshemd, mit aufgerollten Ärmeln und geöffnetem Kragen, ließ einen kräftigen Oberkörper und sehnige Arme sehen. Eine uniformierte Polizistin saß Curtin auf einem Stuhl stumm gegenüber. Andie bedeutete ihr hinauszugehen und setzte sich auf ihren Platz. Lieutenant Bowman blieb im Türrahmen stehen und hörte zu.
Curtin blickte auf. »Hallo, Andie.«
»Hallo, Eddy«, antwortete sie sanft. »Ist lange her, was?«
Curtin nickte. »Hatte nicht erwartet, meine ehemalige Babysitterin so wiederzutreffen. Kann ich jetzt das Bestattungsinstitut anrufen, damit sie Libby holen kommen?«
»Sie muss erst noch woanders hin, Eddy«, sagte Andie. »Wir müssen Beweise sammeln.«
Curtin fuhr mit dem Knöchel des Zeigefingers unter seinen spärlichen Kinnbart. »Ende des Sommers wollten wir nach Montana gehen und die Firma dort im Westen weiter aufbauen. Es war unser Geheimnis.«
»Es tut mir leid, Eddy.«
Sein Kinn zitterte. »Du willst mir ein paar Fragen stellen, nehme ich an.«
»Das wird uns helfen, den Mistkerl zu fassen, der das hier getan hat«, sagte Andie.
Curtin hatte das Haus um zehn Uhr abends verlassen. Er arbeitete gern nachts am Design seiner Snowboards, wenn niemand sonst in der Firma war. Bis gegen halb sieben Uhr morgens war er dort mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen. Zuletzt hatte er gegen elf Uhr mit Libby telefoniert; da hatte sie ferngesehen.
Andie sagte: »Du hast Lieutenant Bowman erzählt, Libby habe ein Stück Tagebuch von einer Sioux-Frau besessen.«
Curtin nickte. »In einem Lederbeutel, zusammen mit einem Kruzifix. Ihr Großvater hatte es ihr gegeben, als sie sechzehn war, und ihr gesagt, sie solle es gut aufbewahren, denn es sei ein wichtiges Stück aus Lawtons Geschichte. Zumindest der Geschichte, über die in Lawton niemand sprechen will. Es geht da um die Séancen, die sie früher im alten Haus der
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