Mythica 06 - Goettin des Sieges
Angst. »Wer von Troja aus Ausschau hält, sieht lediglich Achilles. Den Rest müsste der Nebel erledigen. So können die Griechen die Mauern von Troja durchbrechen – und den Krieg beenden, richtig?«
»Das sollte man meinen«, bestätigte Venus. »Und was tun wir?«
»Ich werde Achilles zurückholen.«
Venus zögerte. »Ich sollte dich vielleicht warnen – heute hat es nicht geklappt, ihn zu erreichen –, wahrscheinlich funktioniert es morgen auch nicht.«
»Aber …?«, half Kat nach.
»Aber ich glaube an die Macht der Liebe«, ergänzte Venus schlicht.
»Ich stelle fest, dass auch ich die Macht der Liebe ganz neu schätzen gelernt habe«, sagte Kat.
Venus lächelte. »Ich wusste, dass ich mit dir die richtige Wahl getroffen habe.«
»Hoffen wir’s. Okay, eines brauche ich noch: einen Schlaftrank, und zwar einen, der möglichst schnell wirkt. Einen richtig starken.«
Ohne zu zögern streckte Venus die Hand aus und bewegte leicht die Finger. Fast sofort erschien im glitzernden Staub eine kleine Kristallflasche, gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit.
»Sei vorsichtig damit. Das benutzen die Götter, wenn sie sich mal der süßen Vergessenheit hingeben wollen. Gebraut wird das Zeug von den Nymphen auf der Insel der Phaiaken. Es muss nur die Haut eines Sterblichen berühren, um seine Wirkung zu entfalten.«
Behutsam nahm Kat das Fläschchen entgegen und stellte es auf die Frisierkommode. »Danke, das ist perfekt.«
Auf einmal frischte der Wind deutlich auf, man hörte die Schreie des Berserkers wieder deutlicher, und die dünnen Vorhänge bauschten sich. Venus trat näher zu Kat und legte die Hand an ihre Wange.
»Katrina, ich verlasse dich mit dem Segen der Liebe.« Sie küsste Kat auf die Stirn, und Kat spürte, wie Wärme und Zärtlichkeit durch ihren Körper flossen.
Als die Göttin die Hand hob, fiel Kat noch etwas ein. »Venus, ist Patroklos noch am Leben?«
Die Göttin lächelte. »Er lebt, erholt sich von der Operation und lässt sich von Jacqueline umsorgen.«
»Bring sie nur dann zurück, wenn ich den Schlamassel bereinigen kann«, sagte Kat, obgleich es ihr fast das Herz zerriss, dass Jacky sich in einer anderen Welt befand als sie.
Venus nickte ernst.
»Wenn … wenn etwas passiert und ich es aus irgendeinem Grund nicht schaffe, kümmerst du dich dann bitte um Jacky? Versprichst du mir das?«
»Das tue ich«, antwortete Venus. Dann zog sie eine Augenbraue hoch. »Sonst noch was, du wunderbar anspruchsvolle Sterbliche?«
Kat kaute auf der Unterlippe, beschloss dann aber, aufs Ganze zu gehen. »Ja, da ist noch eine Kleinigkeit. Wenn ich sterbe – und diesmal endgültig –, würdest du mich dann dorthin gehen lassen, wohin auch Achilles’ Seele nach dem Tod geht? Ohne mich ist er bestimmt einsam.«
»Ich gebe dir mein Wort darauf, Katrina. Solltest du morgen sterben, werde ich deine Seele persönlich in die Elysischen Gefilde geleiten«, versprach Venus.
»Okay. Tja, jetzt geht es mir schon etwas besser.«
»Aber du wirst morgen nicht sterben, Kat, Schätzchen.«
»Bist du da sicher?«, fragte Kat hoffnungsvoll. »Hat ein Göttinnen-Orakel dir meine Zukunft gezeigt?«
»Nennen wir es mal die Intuition der Liebe. Ich glaube nämlich, es braut sich ein Happy End zusammen.« Dann hob sie erneut den Arm, schüttelte das Handgelenk und verschwand in einer Glitzerwolke.
Kat seufzte. »Großartig, und jetzt kenne ich auch den Ursprung des Spruchs: Liebe ist blind.«
Odysseus war verzweifelt: Er hatte nicht nur die Prinzessin im Stich gelassen, die sich Katrina nannte, sondern auch die Myrmidonen, seine eigenen Männer und Achilles. Unruhe breitete sich in der Armee aus. Kein Einziger von ihnen billigte, was Achilles mit Hektors Leiche anstellte. Jede Schändung eines Toten verärgerte die Götter – die Schändung eines ehrenhaften Kriegers, eines Prinzen von königlichem Geblüt, würde zweifellos dazu führen, dass er die Vergeltung des Olymp auf sie alle herabbeschwor.
All das war schlimm, aber Odysseus hatte die Götter schon früher verärgert, und so schlecht wie in dieser Nacht hatte er sich noch nie gefühlt. Er wusste auch, warum. Es war Athenes Verrat, der ihn bis auf die Knochen verletzt hatte. Was Katrina gesagt hatte, spielte keine Rolle. Er erkannte in ihren Worten das, was sie waren – ein freundlicher Versuch, ihn zu beschwichtigen. Aber er wusste es besser. Natürlich hatte Athene von Patroklos’ Maskerade gewusst. Sie war die Göttin des Krieges. Wie konnte
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