Mythica 06 - Goettin des Sieges
ein.
Also brauchte es zwei Dutzend Männer, um die Stadttore zu schließen, aber nur einen, um sie mit Hilfe von ein paar Hebeln zu öffnen?
Auf einmal wurde ihr heiß und kalt, und alles ergab einen Sinn. Sie und Jacky hatten den springenden Punkt einfach nicht verstanden – in der Legende ging es nicht darum, die ganze griechische Armee in ein lächerliches hohles Holzpferd zu verfrachten, aus dem sie dann unvermutet herausspringen und die Trojaner besiegen konnten. Es ging darum, sich durch die undurchdringlichen, mit Hilfe der Götter erbauten Mauern von Troja Zutritt in die Stadt zu verschaffen und das Tor zu öffnen.
Kat starrte auf die Hebel und die beiden Männer, die diese bewachten. Um keinen Preis würden sie jemanden nahe genug heranlassen, um die Kette nach unten zu bewegen und das Tor zu öffnen. Aber eine Prinzessin von Troja war nicht irgendwer.
»Ich bin das Trojanische Pferd«, flüsterte Kat aufgeregt und erschauderte.
32
Kat hob die Hand, um das herzförmige Amulett zu berühren, das immer noch um ihren Hals hing, aber dann nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung direkt außerhalb der Stadtmauer wahr, ein golden-rotes Blitzen. Die griechische Armee hatte sich bereits in den Olivenhain zurückgezogen, nur ein einziger Krieger war noch da.
»Achilles! O Gott, nein.« Entsetzt schüttelte Kat den Kopf. Achilles lenkte einen Streitwagen, peitschte die Pferde und fuhr vor den Toren auf und ab, den blutigen, geschändeten Körper von Hektor hinter sich herziehend.
Die grässliche Szene gab den Ausschlag. Kat würde tun, was nötig war, um diesen Krieg zu beenden. Entschlossen ging sie in ihr Gemach zurück, öffnete ihr Amulett und rief Venus zu sich.
»Venus, komm!«
Diesmal glitzerte die Wolke, in der die Göttin erschien, wesentlich weniger als bisher.
»Ich weiß«, sagte Venus, »Hektor ist tot. Ich habe Andromaches Klagegeheul gehört. Sie haben sich sehr geliebt.«
»Weißt du davon?«, fragte Kat, deutete auf ihren Balkon, und die Göttin näherte sich so weit, dass sie hinausschauen konnte. Kat sah, wie Venus zusammenzuckte, als sie begriff, was dort vor sich ging.
»Achilles schändet Hektors Leiche.«
»Das ist nicht Achilles.«
»Was er da tut, ist unvorstellbar!«
»Das ist nicht Achilles!« Kat holte tief Luft. »Du musst Hera und Athene holen. Oh, und Thetis auch. Ich habe eine Idee, wie wir den Krieg beenden können, aber ihr müsst alle eine Rolle übernehmen.«
»Ich weiß nicht, ob Hera kommen kann. Sie ist dabei, Zeus abzulenken.« Venus hielt inne, warf erneut einen kurzen Blick vom Balkon und fuhr fort: »Und sie muss ihn auch noch eine Weile ablenken. Wenn er wüsste, was hier los ist, hättest du keine Chance, deinen Achilles zu retten.«
»Aber es ist Zeus’ Schuld, dass der Berserker überhaupt hier ist! Er hat Achilles verflucht«, entgegnete Kat ärgerlich.
»Schätzchen«, meinte Venus sanft, »das war Achilles’ Entscheidung, Achilles’ Verantwortung. Deshalb ist es ja so schrecklich für ihn. Er hat sich sein Schicksal selbst ausgesucht.«
»Aber ich ändere es. Die Liebe ändert es.«
»Ich?«
»Wir. Und indem ich Achilles’ Schicksal verändere, beende ich den Krieg.«
»Dir ist also eine Möglichkeit eingefallen«, sagte Venus.
»Ich bin das Trojanische Pferd«, sagte Kat.
»Wie bitte?«
»Vertrau mir.«
»Rückhaltlos. Was brauchst du?«
»Ich nehme an, dass Thetis als Meergöttin Nebel heraufbeschwören kann?«
»Selbstverständlich, Schätzchen.«
»Gut. Sag ihr, sie soll in der Stunde vor der Morgendämmerung Nebel vom Meer aufziehen lassen. Eine ganze Menge davon – er muss die Myrmidonen verbergen können. Sag Athene, Odysseus soll Achilles’ Männer zum Stadttor führen. Direkt davor. Ich sorge dafür, dass es sich öffnet.«
»Du?«
»Ich bin das Trojanische Pferd, erinnerst du dich?«
Venus nickte langsam. »Du bist wirklich eines.«
»Ja.« Vielleicht wäre Judas ein besserer Vergleich , dachte Kat, schüttelte den Gedanken dann aber ab. Diese Art zu denken würde weder ihr noch Achilles helfen. »Sorge dafür, dass Athene Odysseus sagt, er soll die griechische Armee knapp außerhalb der Sichtweite warten lassen – die ganze griechische Armee. Das ist ihre einzige Chance.«
»Wird gemacht. Und was unternehmen wir wegen Achilles?«
»Nichts. Er ist mein Ablenkungsmanöver.« Kat zog sich auf ihre klinische Persönlichkeit zurück – ruhig, gelassen, frei von störenden Emotionen wie Verzweiflung, Schuld oder
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