Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
ihre Sinne in höchster Alarmbereitschaft.
Als sie es das dritte Mal hörte, war sie sich absolut sicher. Es war ein schmerzlich vertrautes Geräusch … ein tiefes, grollendes Schnauben, das irgendwo zwischen einem Keuchen und einem Knurren lag. Mikkis Augen weiteten sich vor Schreck. Das Geräusch war unverkennbar, auf der ganzen Welt gab es nur eine Kreatur, die solche Laute von sich gab: der Biestmann aus ihren Träumen! Er kam auf sie zu!
Das kann nicht sein! , schrie ihre Vernunft. Einfach unmöglich!
Es ist nur eine Halluzination, erinnerte sie sich entschieden. Nur eine Ausgeburt meiner wilden Phantasie.
Aber gleichgültig, was ihr gesunder Menschenverstand ihr sagte, Mikki wusste, dass das Geräusch echt war – zumindest für sie. Was immer jetzt passieren mochte, es gehörte zu ihrer Realität.
Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Ich muss raus aus den Gärten und in den Park, wo es Licht und Menschen gibt! , versuchte ihre Vernunft sie zur Flucht zu drängen und die sexuelle Erregung, die sich tief in ihrem Inneren regte, Lügen zu strafen.
Das hier war kein Traum. Sie lag nicht friedlich schlafend in ihrem Bett oder erzählte ihrer besten Freundin von ihren erotischen Phantasien, und sie brachte auch nicht die Verse auf dem Skript durcheinander, weil sie Lampenfieber und zu viel getrunken hatte. Das hier war etwas ganz anderes. Jemand verfolgte sie. Sie musste sich in Sicherheit bringen. In den Gärten war sie dem Biestmann schutzlos ausgeliefert, doch im Park konnte sie um Hilfe rufen. Auch wenn die Theatergruppe wirklich weg war, würde bestimmt irgendjemand sie hören. Der Park war hell beleuchtet, so dass die anderen Spaziergänger sie gut sehen und ihr zur Hilfe eilen konnten.
Und er würde sie auch sehen, flüsterte der »andere« Teil ihrer selbst.
Mikki beschleunigte ihre Schritte.
Ein leises Schnauben, das eher klang wie der Luftstoß eines Blasebalgs als der eines Lebewesens, ertönte aus der Richtung des Pfads, der direkt parallel zu ihrem verlief. Einzig ein Beet blühender Tiffany-Rosen trennte sie von ihrem Verfolger. Mikki warf einen verstohlenen Blick über die rosaroten Blumen.
Die Lichter des Parks waren hier nicht hell genug, dass sie sein Gesicht ausmachen konnte, sie sah nur für einen kurzen Moment seine Augen aufblitzen, bevor er sich hastig von ihr abwandte. Doch sie konnte erkennen, wie groß er war – geradezu riesig. Entgegen aller Vernunft spürte sie erneut eine Welle unbändiger Erregung.
Ein plötzliches, gewaltiges Knurren, das tief aus seiner Kehle zu kommen schien, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Er wollte ihr den Weg abschneiden, wollte verhindern, dass sie in den Park entkam.
Schneller!, trieb ihr Verstand sie an. Du musst raus aus den Gärten und um Hilfe rufen! Die Angst war stärker als ihre Erregung, und in einer furchteinflößenden Parodie ihres Traums rannte Mikki los.
Als er ihre Gegenwart spürte, dachte er, er würde träumen. Wieder einmal. Obwohl er nicht verstand, was sie bedeuteten, begrüßte er die Träume als seltene Geschenke. Sie durchbrachen die endlose Finsternis seiner Gefangenschaft, ja, sie gaben ihm fast Hoffnung … fast.
Doch dieser Traum hatte eine andere Struktur. Zuerst war er weder überrascht noch alarmiert. So viele Jahre war er nun schon hier eingesperrt, und nur von Zeit zu Zeit wurde seinem betäubten Geist ein Gedankenfetzen erlaubt … eine Erinnerung an das verlockende Aroma der lebenden Welt … irgendeiner lebenden Welt. In diesen kurzen Momenten der Klarheit sehnte er sich nach dem Klang einer Stimme, der Berührung einer warmen Hand, dem Geruch von Rosen und Gewürzen. Manchmal wurde sein Flehen erhört, aber meistens antwortete ihm nur Stille.
Bis vor kurzem die Träume zu ihm gekommen waren. In dem Moment, in dem sie sein Gefängnis betreten hatte, hatte er wieder gelebt.
Er hatte in ihrer Gegenwart, in ihrem süßen Duft geschwelgt, bis er ganz trunken war vor längst vergessenem Glück. Träume. Wer wusste besser als er, wie viel Magie in ihnen lag?
Vielleicht würde er wieder von ihrer Berührung träumen. Vielleicht …
Und dann war ihr Blut auf den kalten Stein getropft, in dem er gefangen war, und der Schmerz, der ihn durchfuhr, zerschmetterte die letzten zwei Jahrhunderte, wie ein Meißel Marmor durchbricht.
Zuerst hatte er nicht glauben können, dass er frei war. Er dachte, es wäre nur eine grausame Halluzination. Jahrzehnte hätten vergehen können, bevor er sich auch nur die geringste
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