Mythor - 049 - Der Drachensee
schwoll an, verschlang die beiden Männer.
Sadagar sah es mit Entsetzen.
Vor seinen Augen verschmolzen die beiden Halbkugeln zu einem gespenstischen Gebilde, einem mehr als mannshohen marmorierten Ball – schwarze und gleißend goldene Strukturen, die einander durchdrangen, zuckten, sich bewegten. Aus dem Innern dieses Gebildes erklangen Stimmen, Schreie, Heulen.
»No-Ango, besiege ihn!« schrie Sadagar.
Sogar die Drachen schienen zu spüren, dass sich Gewaltiges vollzog. Sie ließen Sadagar in Ruhe, stiegen auf und kreisten über dem Dämonenhaupt.
Sadagar ruckte an seinen Ketten, aber er konnte sich nicht befreien.
Dann gellte ein markerschütternder Schrei, und im gleichen Augenblick verschwand das gespenstische Bild vor Sadagars schreckgeweiteten Augen. No-Ango wurde sichtbar, zitternd, kreideweiß im Gesicht, aber lebend. Er lag auf dem Boden, das Gesicht verzerrt vor Anstrengung, vielleicht auch mehr.
Neben ihm lag auf dem Boden das, was von Herzog Krude übriggeblieben war – eine kleine, schrumpelige Gestalt, kaum mehr zu erkennen.
No-Ango kam auf die Beine.
»Hierher, Freund!« rief Sadagar. Der Steinmann spähte in die Gänge hinein, befürchtend, die Dämonenpriester im nächsten Augenblick wieder auftauchen zu sehen.
No-Ango war sichtlich am Ende seiner Kräfte. Er torkelte mehr, als er ging. Dennoch schaffte er es, zu Sadagar zu wanken.
»Befreie mich!« stieß Sadagar hervor. »Es ist ganz einfach, du brauchst nur die Haken anzuheben.«
No-Ango nickte. Sein Blick schien durch Sadagar hindurchzugehen. Er sah aus, als sei er in diesen Augenblicken des Schreckens vor der Zeit um Jahrzehnte gereift und gealtert. Mit bebenden Händen hob er die Ringe von den Haken, danach waren Sadagars Ketten leicht zu lösen. Mit einer Verwünschung warf Sadagar sie hinab in den Drachensee.
»Und jetzt verschwinden wir«, stieß Sadagar hervor.
No-Ango lächelte, während er durch Sadagar hindurchblickte.
»Wohin?«
Sadagars Blick irrte durch den Raum. Das dunkle Blau ließ kaum etwas erkennen, dann aber schälte sich im Hintergrund ein weißes Gesicht aus dem Dunkel – die Knochenmaske eines Drachenanbeters. Dieser Weg war also versperrt, denn hinter den Drachenanbetern standen die beiden verbliebenen Todesreiter Drudins. Schrecklich würden sie den Tod ihres Gefährten an den beiden Gefangenen rächen.
Sadagar schauderte. Es schien nur einen einzigen Weg zu geben – hinab in die Tiefe, in den Drachensee.
»O nein, das nicht«, stieß Sadagar hervor.
No-Ango lächelte.
»Du hast keine andere Wahl«, sagte er. Um das Verfahren abzukürzen, traf er die Entscheidung. Er trat an Sadagar heran, und bevor dieser begriff, was ihm blühte, hatte No-Ango ihn gestoßen. Mit einem lauten Schrei fiel Sadagar von den Lippen der Dämonenstatue ins Leere.
Ohne Zögern sprang No-Ango nach.
*
»Wir sollten umkehren«, stieß Tjubal hervor. »Es hat keinen Sinn, wir würden nur uns selbst in höchste Gefahr bringen, mehr nicht. Du kannst deine Freunde nicht retten.«
Mythor schwieg. Er spürte deutlich, dass der Drachentöter recht hatte; die Vernunft sprach für die Ansichten des Einäugigen. Aber Mythor weigerte sich einfach, dieser Vernunft blind zu gehorchen. Hätte er nur der Vernunft entsprechend gehandelt, wäre er längst nicht mehr am Leben gewesen. Wie oft hatten sich die Dinge gegen jede Verstandesmäßigkeit dennoch zum Guten gewendet!
»Weiter!« sagte Mythor. »Und sehr leise! Wir wollen versuchen, unentdeckt zu bleiben.«
Das Boot glitt fast geräuschlos weiter, dem Ort entgegen, an dem Mythor den Schrei vermutete – und er wusste sehr genau, dass er Sadagar hatte schreien hören. Eine innere Stimme sagte ihm, dass dies das Organ des Steinmanns gewesen war, und dieser gellende Schrei hatte sich danach angehört, als habe Tjubal recht behalten.
Es war sinnlos, den Vorstoß fortzusetzen, aber Mythor beharrte darauf. Durch einen Wald von Pfählen – jeder mit einem bleckenden Schädel verunstaltet – schob sich das Boot vorwärts.
Die Drachentöter hielten sowohl die Schwerter als auch die Drachenschwirren griffbereit. Sie waren gewillt, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
»Still!« sagte Mythor.
Er glaubte, ein fremdes Geräusch gehört zu haben. Ein fernes Plätschern, gar nicht so weit von dem Boot entfernt.
»Sadagar, No-Ango!« rief er mit aller Kraft. »Könnt ihr uns hören?«
»Es ist Mythor!« schrie eine sich überschlagende Männerstimme. »Wir sind
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