Mythor - 055 - Luftgeister greifen an

Titel: Mythor - 055 - Luftgeister greifen an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. K. Giesa

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geschafft. Der oder die Überlebende wäre kurz darauf dem Wahn verfallen. Die magische Zone hat noch eine Menge Trugbilder zu bieten, um Besucher abzuwehren und zu vernichten.«
    Sie tippte gegen das rechte, zerknitterte Ohr des vor ihr sitzenden Beuteldrachen. »Und warum ist er nicht beeinflußt worden?«
    »Weil ich ihm einen Schutz mitgab«, erwiderte Vina. »Und wenn der Mühlenzauber ebenfalls entartet wäre, wäre Gerrek schon dort euer Retter in höchster Not geworden. Denn ihm kann jener Zauber, der Männer fängt, nichts anhaben. Die Mühle ist eine Sammelstelle der Amazonen, wie es diese Sammelstellen überall auf den Inseln der Dämmerzone gibt. Das Spiel der Windschaufeln wirkt nur auf Männer, und von Zeit zu Zeit kommen die Amazonen, um diese Sklaven abzuholen. Doch diese Sammelstelle hier, die Mühle, ist seit langem in Vergessenheit geraten, so daß alle, die hierher kommen, vermodern. Wir werden uns demnächst um diese Mühle kümmern müssen.«
    Ramoa nickte. Sie kannte Einrichtungen dieser Art von Tau-Tau her, wie sie sich jetzt erst erinnerte. Honga hatte nicht über das gesprochen, was er im Innern gesehen hatte, und Ramoa selbst war nicht im Innern gewesen. Aber jetzt, wo Vina es erwähnte, begriff sie. Eine solche Sammelstelle befand sich auch in der »verbotenen Zone« von Tau-Tau, aber warum sie dort stand, war ihr unbekannt.
    Ramoa erhob sich jetzt von der Proviantkiste, auf der sie gesessen und Gerrek gekrault hatte. Der Mandaler nahm das Aufhören dieser angenehmen Tätigkeit mit unwilligem Schnauben zur Kenntnis. Ramoa ging an der Hexe vorbei. Vina bot ein beeindruckendes Bild. Hochgewachsen, schlank und wohlgeformt, war sie jeder Zoll eine Dame, während die Feuergöttin eher wie ein wildes Mädchen wirkte – im Grunde kein Wunder, war sie doch vor einundzwanzig Jahreswechseln im Zeichen des Wildnebels geboren und besaß dementsprechendes Temperament. Vina trug ein weißes, knöchellanges Kleid aus weich fallender Seide, das lose ihre Figur umspielte und mit einer goldenen Kordel gegürtet wurde. Ein blutroter Umhang kontrastierte gut mit dem straff zurückgekämmten schwarzen Haar. An der Taillenkordel hingen in kostbaren Scheiden zwei nicht weniger kostbare Kurzschwerter, und trotz der gepflegten Erscheinung hatte Ramoa den Eindruck, daß Vina diese beiden Waffen sehr gut benutzen konnte.
    Ramoa sah aus einem der Fenster der Gondel. Im Nebel versuchte sie zu erkennen, was sich unten am Boden abspielte. Nur leicht zuckte sie zusammen, als sie voraus das helle Farbenspiel sah.
    »Die Regenbogen-Brücke « , sagte Vina leise. Sie war neben die Feuergöttin getreten. Ramoa nickte nur.
    »Wo mag Honga sein?«
    Vina lächelte. »Er ist bereits eingedrungen«, stellte die Hexe fest, die im achten Rang der zwölffach abgestuften Hexengilde stand. Die Farbe der Steine in den Ringfassungen an ihren Händen, ohne die sie ihre magischen Fähigkeiten nicht einsetzen konnte, wies darauf hin. Vina trug das rote Feuer. Weiterer Hinweis war die Farbe ihres Umhangs.
    »Ich sah es vorhin«, fuhr Vina fort, als sie den erstaunten Ausdruck in Ramoas schmalem Gesicht sah. »Er hat es geschafft. Ich werde ihn wohl herausholen müssen und…«
    Sie unterbrach sich.
    Ramoa sah, wie eine jähe Blässe das Gesicht der Hexe überzog. Ihre Augen wurden starr, ihr Körper versteifte sich. Die Lippen wurden zu einem schmalen Strich.
    Langsam drehte die Feuergöttin den Kopf und sah in die gleiche Richtung. Hinter sich spürte sie die Anwesenheit Gerreks, der ebenfalls aufmerksam geworden war.
    Das Grauen packte Ramoa, als sie sah, warum Vina erblaßt war. Sie wagte kaum zu atmen.
    Wie viele mochten es sein?
    Zwei Dutzend? Drei Dutzend?
    Es mußten viel mehr sein.
    Lautlos glitt der riesige Schwarm aus den Nebeln hervor, langsamer werdend nach dem letzten »Sprung«.
    Pfeifend stieß Gerrek die angehaltene Luft aus dem Rachen.
    »Luftgeister«, keuchte er.


    *

    Der große Schwarm bestand aus ausgesuchten Prachtexemplaren von beeindruckender Größe. Sie waren fast dreimal so groß wie jene Meduse, die den Zugvogel zwischen Tau-Tau und den Blutigen Zähnen angegriffen hatte. Und damit waren sie auch mindestens dreimal so gefährlich – pro Luftgeist!
    Sie schwebten geräuschlos dahin, alle in der gleichen Richtung, als verfolgten sie ein bestimmtes Ziel. Sie wurden langsamer. Einige schossen plötzlich jäh vorwärts. Sie »sprangen« also nicht alle zur gleichen Zeit; offenbar war die »Sprungstärke«