Mythor - 055 - Luftgeister greifen an
er nicht mithalten. Fast gewaltsam verdrängte Mythor die Erinnerung wieder. Er mußte sich dem Jetzt widmen. Hier war die Inselkette der Blutigen Zähne, hier war die Regenbogen-Brücke. Fronja, von der er nur das Bild kannte, war so fern von ihm wie eh und je.
Breit zog sich das Farbenband des Regenbogens vor ihm auseinander. Es begann direkt an der Kante des felsigen Abgrunds und spannte eine gebogene Brücke hinüber zur nächsten Insel. Es verband auf diese Weise die beiden Kieferhälften miteinander.
Mehr zufällig sah Mythor nach Norden.
Dort schwebten Punkte am Himmel!
Punkte?
Große, fliegende Körper, die ihn im ersten Moment an Drachen denken ließen. So weit waren sie entfernt und doch so groß! Aber sahen Drachen so seltsam aus?
Wie fliegende Pilze?
Aus dem Norden schwebten sie heran und kamen näher. Ihre Flugbahn würde über die Regenbogen-Brücke hinwegführen.
Fliegende Pilze…
Hatte er nicht ein ähnliches Ungeheuer am Himmel gesehen, als er in Ramoa seine Feindin erkannte? Die Erinnerung durchzuckte ihn für die Dauer einiger Herzschläge. Daß ihm die magische Zone das Bild einer Meduse vorgegaukelt hatte, als Vinas Luftschiff erschien, ahnte er nicht einmal.
Luftgeister, die gefährlich waren! Aber trotz ihrer Gefährlichkeit würden sie die Regenbogen-Brücke nicht bedrohen können. Mochten sie ruhig darüber hin wegziehen!
Woher das Wissen in ihm war, daß die Brücke von den Luftgeistern nicht bedroht wurde, konnte er nicht sagen. Es war einfach da, und er nahm es hin.
Er wandte sich von dem phantastischen Bild ab und wieder der Brücke zu.
Die lockte ihn!
Einen Fuß setzte er vor den anderen, sah unter sich den gähnenden Abgrund, den steinernen Menschenfresser mit seiner schäumenden Gischt in der Tiefe, und kümmerte sich dennoch nicht darum!
Ihm konnte nichts geschehen!
Für ihn hatte der gähnende Abgrund keine Bedeutung! Er war für Mythor ebensowenig eine Gefahr wie die Luftgeister eine Gefahr für den Regenbogen waren.
Etwas in ihm sagte es ihm!
Noch ein Schritt – noch einer…
Er schwebte über dem Abgrund!
Er schwebte frei in der Luft, und seine Füße standen auf dem farbigen Lichtspiel des Regenbogens, das womöglich noch prachtvoller war als zuvor!
Der Sohn des Kometen hatte die Regenbogen -Brücke betreten!
Unter seinen Füßen, die in Fellschuhen steckten, war sie fest wie Stein. Er ging über das prachtvolle farbige Licht und drang mit jedem Schritt tiefer ein.
Hinein in die Brücke!
Am Anfang, an der Felsenkante, war die Brücke nur eine Handbreite hoch bei voller Breite, aber mit jedem Schritt wurde sie höher und dicker, und seine Füße bewegten sich über die Unterkante. Jetzt reichte ihm das farbige Licht schon bis zu den Knien.
Er stürzte nicht in die Tiefe. Er konnte nicht stürzen. Der Regenbogen war ein Bauwerk magischer Natur.
Noch tiefer drang er ein. Das Licht nahm ihn auf. Die Brücke aus Licht hüllte ihn ein, nahm ihn in sich auf. Zum ersten Mal, seit er in dieser seltsamen Welt erwacht war, fühlte er sich geborgen.
Wärme und Geborgenheit!
Und farbiges, prachtvolles Licht wie das Funkeln Tausender Edelsteine!
Licht, Helligkeit!
Wie eine Bastion des Lichtboten, die nur auf sein Erscheinen gewartet hatte.
Wie damals…
Aber das hier war kein Fixpunkt des Lichtboten. Er wußte es. Es war etwas anderes. Lichtboten-Magie schien es in dieser Welt nicht oder kaum zu geben.
Und doch war es das gleiche Gefühl, das sich in ihm immer mehr ausbreitete. Er fühlte sich wohl.
Hier gab es niemanden, der ihn angreifen konnte.
Ganz hüllte der Regenbogen ihn ein, und Mythor ging langsam weiter und nahm die Pracht und Schönheit mit Augen und Geist in sich auf.
Er wurde immer ruhiger und zuversichtlicher. Die Ruhe wurde das Beherrschende in ihm.
Und die Farben – sie begannen ineinander zu verfließen, bildeten Muster, die schön waren in ihrer Gestalt und immer schöner wurden. Sie trugen mit bei zu der Ruhe, die ihn ausfüllte. Ruhe und Geborgenheit. Und wechselnde Farbspiele!
Die Muster folgten einem strengen Gesetz. Sie formten sich immer klarer.
Sie wurden zu Bildern.
Bilder, die sich bewegten wie die Farbmuster und ihm etwas zeigen wollten.
Er nahm sie in sich auf, die beweglichen Bilder.
Es war wie ein Traum, nur viel wirklicher als ein solcher.
Und Mythor träumte den Wahrtraum inmitten des Regenbogens.
*
Nur kurze Zeit nach Mythor erreichte eine andere Gestalt den Abgrund, von dem aus sich der Regenbogen
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