Mythor - 063 - Die Bestie erwacht
den kleinsten und schwächsten, schickt ihr vor, dabei ist vorn die Gefahr am größten! Das ist gemein und hinterhältig! Ausbeutung von Beuteldrachen! Ich bin dagegen!«
Mit unbewegtem Gesicht zog Scida ihre beiden Schwerter. »Du bist überstimmt, mein Bester«, stellte sie trocken fest.
Mythor aber hatte andere Sorgen.
Er dachte an Ramoa, die vielleicht nicht einmal mehr lebte! Dieses Schicksal hatte sie nicht verdient.
*
Das Gelände war hügelig und leicht ansteigend. Der Wald wurde mit der Zeit niedriger, und über den Baumwipfeln konnte man langgezogene Bergketten sehen. Im Norden erhob sich wie eine graue Nebelwand die Düsterzone am Horizont, und über ihr strahlte die Sonne. Ein mildes Klima herrschte wie in Tainnia im Frühsommer. Mythor hatte seinen wallenden und bis zu den Knien fallenden Mantel abgenommen und zusammengerollt.
Schweigend marschierten sie zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch. Hin und wieder huschten kleine Tiere davon, und in den oberen Ästen zirpten bunt schillernde Vögel. Ganz in Gedanken versunken griff Gerrek einmal rasch zu und pflückte ein kleines Tier von einem herabhängenden Ast, um es in seinem Bauchbeutel verschwinden zu lassen. Mythor beobachtete es mit schwachem Lächeln, hatte es aber fast wieder vergessen, als Gerrek seine langen Finger wieder einmal auf die Reise schickte und ein zweites Tier erwischte, das sich vom ersten lediglich in der Färbung unterschied und die gar seltsame Erscheinung des heranwatschelnden Beuteldrachen aus großen Knopfaugen bestaunt hatte.
Schlagartig setzte im Beutel des Mandalers ein entsetzlicher Aufruhr ein. Aufkreischend entfernte der Beuteldrache die beiden kleinen Viecher, die sich wortwörtlich in die Haare geraten waren, und schleuderte sie irgendwo ins Gebüsch.
»Stiehl nie ein Tier zum Scherz, denn sonst spürst du bald den Schmerz«, spottete Mythor. Gerrek schenkte ihm einen vernichtenden Blick und arbeitete sich weiter voran, immer noch auf der Spur der Bestie Yacub. Nach einer Weile begann er darüber zu nörgeln, daß der Fußmarsch nun schon beträchtlich lange dauere und er sich Blasen unter den Krallen hole.
»Möchtest du lieber, daß wir Ramoa im Stich lassen?« fragte Mythor grimmig.
»Nein, nein«, beteuerte Gerrek. »Aber wir könnten es anders machen. Statt Yacub nachzulaufen, sollten wir ihn anlocken. Ein kleiner Waldbrand oder so müßte ihn neugierig machen…«
»Und uns im eigenen Saft schmoren«, sagte Mythor. »Kommt nicht in Frage!«
Scida schwieg und marschierte unaufhaltsam weiter. Wie ein Yarl, dachte Mythor unwillkürlich, der alles flachstampft, was ihm in den Weg kommt .
Und dann endete der Wald überraschend. Vor ihnen öffnete sich eine lichte Ebene.
Und inmitten dieser nur spärlich bewachsenen Ebene, in der mannshohes Buschwerk die größte Pflanzengruppe bildete, stand ein Bauwerk.
»Ein Hexenfort«, sagte Scida ohne Überraschung.
11.
»Was ist das?« fragte Gerrek. »Hexenfort – heißt das, daß dort alle Hexen fort sind?«
»Stell dich nicht dümmer an, als du aussiehst!« schimpfte Scida. »Genau das Gegenteil ist der Fall! Dort gibt es nur Hexen. Ein Stützpunkt, eine Bastion, wie es sie auf Gavanque und überall gibt.«
»Aus welchem Grund?« fragte Mythor. »Ich dachte immer, Hexen wären die Beraterinnen von Amazonenführerinnen.«
»Nicht immer«, sagte Scida. »Hier auf Gavanque auf keinen Fall. Ich sagte schon, daß Zaem und Zahda beide die Insel für sich beanspruchen, und der Kampf, den sie führen, ist ein Krieg der Hexen.«
Sie sagte es so, als wolle sie nicht mehr von ihrem Wissen preisgeben. Mythor zuckte mit den Schultern und sah zum Hexenfort hinüber.
Es war ein großes, weißes Gebäude, das von einer hohen, mit Zinnen versehenen Mauer umgeben war und vier Ecktürme besaß. Wenn es nur darum ging, es mit Waffen zu erobern, mußten die Angreifer einen schweren Stand haben, denn das Fort lag mitten in der Ebene, und von den Türmen aus konnten Angreifer schon erkannt werden, wenn sie sich noch in den Wäldern ringsum befanden – die auffliegenden Vogelschwärme würden sie verraten! Die Türme selbst ragten so hoch empor, daß sie die wahrscheinlich hinter den Mauerzinnen liegenden Wehrgänge decken konnten, und das Fort war auch nicht zu groß, so daß die Türme sich auch untereinander schützen konnten.
Allerdings, wenn hier ein Heerführer vom Schlage des Caer-Priesters Drudin zu Werke schritt…
»Kommt, weiter«, befahl Scida. »Sonst
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