Mythor - 075 - Der Tod der Lumenia
auf. »Erzähle davon!«
Er kam ihrem Wunsch nach und berichtete, was er gesehen hatte. Den Eisblock, in dem Fronja eingeschlossen war, die Zaubermütter, die ihn schmolzen, Fronjas Toben und das erneute Einschließen in Eis.
Je länger er sprach, desto stärker wurden die Eindrücke wieder, und jetzt, außerhalb der Gefahr, konnte er sie noch besser auf sich einwirken lassen. Und doch blieben da Unklarheiten…
»Ich deute es so«, sagte er leise, »daß die Zaubermütter die Tochter des Kometen in den Eisschlaf versetzen, um so auch die drohende Gefahr einzufrieren, die Fronja und Vanga bedroht. Aber…« Er verstummte.
»Ich stimme dem zu«, sagte Noraele. »Aber du wolltest noch etwas hinzufügen.«
»Ich weiß es nicht… im Nachhinein kommt mir alles so unwirklich vor. Ich verstehe es nicht. War es eine Warnung oder eine Beruhigung? Braucht Fronja unsere Hilfe nicht mehr, oder benötigt sie sie stärker denn je?«
»Kannst du nicht versuchen, den Traum zu wiederholen?« fragte Noraele.
Mythor sah sie erstaunt an. »Geht denn so etwas?«
»Es soll schon vorgekommen sein, daß Fronja Träume zwei- oder dreimal schickt«, sagte die Hexe. »Versuche es. Vielleicht verstehst du ihn beim nächsten Mal.«
»Ich will es versuchen«, sagte er.
*
Es gelang ihm nicht, so sehr er sich auch anstrengte. Er zog sich in seine Unterkunft zurück, um sich in Ruhe und Abgeschlossenheit zu konzentrieren. Er versuchte, den magischen Ring zu aktivieren und damit eine Verbindung zu Fronja herzustellen. Aber trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht. Entweder reichten die Kräfte seines Geistes nicht dazu aus, oder Fronja war nicht mehr in der Lage, den Traum erneut zu senden.
War es ein letzter, verzweifelter Hilfeschrei gewesen, ehe sie in den Kälteschlaf sank? Oder war dieser Kälteschlaf nur ein Symbol, ein Gleichnis oder ein Bild für etwas noch Schrecklicheres?
»Fronja«, flüsterte er. »Ich will dir doch helfen! Antworte mir!«
Aber Fronja war so weit von ihm fort… eine Ewigkeit entfernt.
Unerreichbar wie immer… Und irgendwann sank er in Schlaf, aber auch in diesem träumte er nicht wieder von der Frau, deren Bild sich unauslöschlich tief in sein Herz gebrannt hatte.
*
Und weiter fuhr die Schwimmende Stadt, und prächtiger erblühte sie, einem Höhepunkt entgegen. Die Farbe der Blüten wechselte, und mit jedem Tag wurde der Anblick schöner, aber mit jedem Tag nahte auch das Ende der Blütenzeit, der »Kleine Tod«. Doch noch wagte daran niemand zu denken, an jenen gegenüber der Blütezeit geradezu farblosen Zustand des Normalen. Noch dauerte das Fest der Masken an.
Mythor suchte die Schwimmende Stadt nach der Flügelschlangen-Maske ab. Doch er konnte sie nirgends finden. Daß sie zurückgeblieben war, glaubte er nicht; sie müßte dumm gewesen sein. Aber wahrscheinlich traute sie sich nicht aus ihrer Behausung hervor.
Hanquon war wieder mehrere Tage unterwegs. Die nächste Insel war Taufion, größer noch als Kuron und dementsprechend wohl auch dichter bewohnt. Es hieß, daß Hanquon zwei ganze Tage dort haltmachen würde, um den vielen Menschen ein Bewundern der Blume zu ermöglichen.
Mythor ahnte, daß er vorsichtig sein mußte. Taufion war die viertletzte Insel, wie er in Erfahrung gebracht hatte, aber diese Inseln lagen dichter beieinander. Das bedeutete, daß bereits mehr als zwei Drittel der Strecke entlang der Inseln hinter ihnen lag, und die Häscherinnen der Niez würden auf keinen Fall zulassen, daß sich Honga, Scida und ihre Begleiterinnen noch auf der Lumenia befanden, wenn diese auf endgültigen Kurs zum Hexenstern ging. Sie würden also vorher zuschlagen müssen. Noch war das Spiel nicht entschieden. Wer würde den letzten entscheidenden Zug durchführen? Mythor – oder die anderen?
Er wußte es nicht. Tausend Fragen blieben offen.
5.
Das Schaukeln hatte aufgehört!
Lissanta öffnete mühsam die Augen. Undeutlich entsann sie sich, daß sie sich irgendwann weitergerollt und eine Decke über sich gezogen hatte, um nicht den sengenden Sonnenstrahlen oder der entsetzlichen Nachtkälte draußen auf dem Meer ausgesetzt zu sein. Aber wann war das gewesen? Vor Stunden oder vor einem Jahr?
Sie wußte es nicht, und als sie sprechen wollte, fühlte sie, daß es nicht ging. Ihre Zunge war ein riesiges, angeschwollenes Ding in ihrem Mund, das sie daran hinderte. Irgend jemand öffnete ihren Mund und ließ etwas hineintropfen.
Wasser.
Süßes Wasser. Kein Meerwasser. Sie versuchte sich
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