Mythor - 086 - Die Chronik der Burg Narein
unser!«
»Hoffentlich«, murmelte Ploder inbrünstig. Schlagartig war die Angst wieder da und hatte ihn im Griff.
Er begriff gar nicht mehr, was um ihn herum vorging. Schwerter klirrten funkensprühend aufeinander. Pferde wieherten und schrien, Menschen riefen schrille Kampfrufe. Dazwischen dröhnte Trommelschlag. Ploder sah gehetzt um sich - er suchte nach einer Möglichkeit, sich aus dem Getümmel entfernen zu können, nach Möglichkeit, ohne dabei aufzufallen und verfolgt zu werden.
Die Schlacht wurde gnadenlos, härter von Augenblick zu Augenblick. Unglaubliches mußten die Amazonen von Ganzak und ihre Helferinnen leisten, um dem Druck der Singara-Kämpferinnen zu widerstehen. In deren Rücken kroch der gräßliche Nebel heran, alles verschlingend, alle in sich aufsaugend. Niemand kam wieder zum Vorschein, der in den Dunst hineingeriet. Mit dieser Furcht im Nacken kämpften die Frauen von Singara erbitterter denn je zuvor - sie stritten nicht um Ehre und Besitz. Die Todesfurcht ließ sie angreifen.
Von irgendwoher kam ein Speer geflogen und ritzte die Haut des Pferdes, das Ploder ritt. Der Hengst scheute, schlug um sich - und ging durch.
Ploder stieß einen gräßlichen Schrei aus - in seiner Verwirrung jagte das Pferd genau auf den unheimlichen Nebel zu.
Ploder war angstgeschüttelt. Er wagte nicht, vom Pferd zu springen, denn dabei hätte er sich entweder das Genick gebrochen, oder er wäre den Schwertern der Singara-Amazonen zum Opfer gefallen, die verzweifelt versuchten, sich einen Weg durch die Truppen der Ganzak-Frauen zu säbeln, um damit dem Verhängnis entgehen zu können.
Die Schlacht wütete heftiger, erbitterter als jemals zuvor auf dem Boden des Landes, aber Ploder bekam davon nichts mit. Er sah, wie der Nebel näher kam, ihn erreichte, berührte - und verschlang.
8.
Phyter sah aus dem Fenster. Die Morgensonne stieg über Ganzak in die Höhe.
Er legte die Pergamentrolle zur Seite. Der Bericht seines Urahnen - mehr als drei Großkreise lagen die Ereignisse zurück - hatte den Chronisten von Narein die ganze Nacht lang lesen lassen. Er kannte diese Erzählung, hatte sie immer wieder zur Hand genommen und darin gelesen. Es gab ein Geheimnis, das in diesen Rollen begraben lag - und dieses Geheimnis war bis auf den heutigen Tag nicht gelüftet worden.
Auf dem Burghof wurde es laut. Die Knechte waren erwacht und begannen mit der Arbeit des Tages. Pferde mußten beschlagen werden, und da - einmal mehr in der kriegerfüllten Chronik der Burg Narein - der Feind erwartet wurde, mußten Pfeile befiedert werden, wurden Lanzen geschärft und Speere gebündelt. Die Vorbereitungen galten einem Angriff der Horsik-Horden - auch das war schon Tradition auf Narein.
Phyter lächelte, als er die Knechte bei der Arbeit sah. Ein Pferd scheute vor dem glühenden Eisen, riß sich los und nutzte die frisch erworbene Freiheit zu einem Fangspiel auf dem Hof. Während drei Knechte hilflos hinterdreinstolperten, griff eine der Mägde beherzt zu und fing das Tier wieder ein.
Phyter legte die Hand als Sichtschutz vor die Augen. Am Horizont zeichnete sich etwas ab. Phyter sah ein metallisches Blitzen.
Er verließ die Kammer, die ihm seit langem zur Verfügung stand, damit er in Ruhe seiner Chronistenpflicht nachgehen konnte. Es war eines der vielen Kümmernisse Phyters, daß man auf Burg Narein die Arbeit des Chronisten bei weitem nicht so zu schätzen wußte wie in früheren Jahren. Vielleicht lag es daran, daß die Chronisten im Lauf der Großkreise so viele rühmliche Taten der Vorgängerinnen der Swige von Narein aufgezeichnet hatten, daß den gegenwärtigen Herrinnen der Burg kaum mehr etwas geblieben war, was sich solchen Taten an die Seite stellen und vergleichen ließ.
Swige von Narein war bereits auf.
Sie war eine der zierlichsten Amazonen, die jemals über Burg Narein befehligt hatte, ein Püppchen von nicht einmal sechs Fuß Körpergröße, dazu feingliedrig, schmalgesichtig und - wie jedermann im Umkreis wußte - am ganzen Körper narbenlos. Normalerweise wäre dies ein übler Schimpf gewesen, aber Phyter wußte, daß es bislang kein Gegner geschafft hatte, der Swige von Narein die Haut zu ritzen. Ihre Klinge war allenthalben gefürchtet.
Swige sah auf, als Phyter den Raum betrat. Sonnenlicht fiel durch das offene Fenster auf den hölzernen Tisch, der mit Pergamenten bedeckt war. Swiges Schwerter hingen an der Wand, daneben ihr Bogen, eine Waffe, deren Sehnen außer ihr nur wenige zu spannen vermochten.
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