Mythor - 086 - Die Chronik der Burg Narein
nichts erzählen?«
»Alles zu seiner Zeit«, versetzte Mythor.
Aha, dachte Phyter. Damit hatte er zugegeben, daß er etwas zu erzählen hatte - jetzt rettete ihn niemand mehr vor Vilges Forscherkünsten. Wenn es um Caeryll ging, wurde Vilge hartnäckig.
»Ich komme gerade von der Schattenzone«, sagte Vilge freundlich.
Mythors Reaktion zeigte, daß er wußte, wovon Vilge sprach.
»Ich habe dort versucht, einiges in Erfahrung zu bringen über Caeryll«, berichtete Vilge weiter. »Jetzt bin ich auf Burg Narein, wo man sich von jeher stark für Caeryll interessiert hat - und ich werde sehr bald meine Klause aufsuchen, um dort das neu gewonnene Material mit den alten Unterlagen zu vergleichen.«
»Nimm mich mit«, sagte Mythor.
Phyter dachte, ihn hätte der Schlagfluß gerührt. Was fiel diesem Burschen ein, solche Wünsche zu äußern, noch dazu in einem Tonfall, der eher an eine energische Aufforderung erinnerte als an eine flehentliche Bitte. Schließlich war Vilge nicht irgendwer auf Burg Narein.
»Du bist dreist«, stellte Vilge trocken fest.
»Allerdings«, sagte Mythor gelassen. »Hat sich dein Ausflug gelohnt?«
»Ich glaube, ich bin in meiner Arbeit sehr viel weiter gekommen«, sagte Vilge.
»Mir hast du bislang davon nichts verraten«, sagte Phyter böse. Er hielt sich für einen Vertrauten der Hexe, weil er ihr dabei half, die Chroniken der Burg nach Hinweisen auf Caeryll zu durchforschen. Vilges Blick bedeutete ihm, den Mund zu halten, nach Möglichkeit zu gehen. Phyter zögerte einen Augenblick, dann verließ er den Raum.
*
»Du suchst Neuigkeiten über Caeryll«, sagte Vilge, kaum daß Phyter den Raum verlassen hatte.
»Das ist richtig«, stimmte Mythor zu.
»Woher kommst du, wer bist du?«
Vilge stellte ihre Frage sehr ruhig, aber am Zucken ihrer Mundwinkel konnte Mythor erkennen, daß sie vor Neugierde fast barst.
»Warum willst du das wissen?« fragte Mythor zurück.
»Laß diesen Unfug«, sagte Vilge hart. »Gib Antwort!«
Mythor schüttelte den Kopf.
Über Vilges Gesicht flog ein Lächeln.
»Du bist mehr als dreist«, sagte sie. »Du bist verwegen - fast wie er.«
»Wer?«
Vilge beugte sich vor und faßte Mythor scharf ins Auge.
»Du hast Ähnlichkeit mit Caeryll«, sagte sie. »Und du trägst ein Geheimnis mit dir herum - laß mich raten. Du stammst nicht von hier.«
»Auch das ist richtig«, sagte Mythor. Es hatte wenig Sinn, die Forscherin hintergehen zu wollen; wenn Mythor ihre Hilfe erhalten wollte, mußte er ihr entgegenkommen - und das hieß in diesem Fall, daß er sich Vilge offenbaren mußte.
»Du wirst diese Kenntnisse zu behüten wissen«, sagte er anschließend.
Vilge nickte. Ihre Augen hatten einen fiebrigen Glanz bekommen.
»Mit deiner Hilfe…«, murmelte sie.
»Ja?«
»Komm mit mir in meine Klause, nur du allein. Wir werden die Unterlagen durchstöbern. Es ist manches dabei, was ich nicht zu lesen vermag - dort magst du deuten und lesen.«
»Hm«, machte Mythor.
Der Umschwung in Vilges Laune kam ein wenig zu rasch. Obendrein mußte er sich verdächtig machen, wenn er so unvermutet die Burg wieder verließ.
»Wo liegt deine Klause?« fragte er, um Zeit zu gewinnen.
»Auf nareinschem Boden«, sagte Vilge. »In der Nähe des Hexenschlages. Es ist ungefährlich - wir kämen in jedem Fall bei Freunden an. In der Nähe liegt auch Anakrom, das zur Zeit von der Narein-Sippe verwaltet wird. Das ist übrigens auch ein Grund, weshalb diese Horsikerinnen uns so bedrängen. Die Nareins haben mehr Matrias gestellt als jede andere Sippe, und jetzt haben sie als einzige Sippe praktisch zwei Gebiete von Ganzak als Lehen. Burra hat ihnen Burg Anakrom anvertraut.«
»Wir sollten noch jemanden mitnehmen«, sagte Mythor. »Nicht, daß ich mich fürchte, aber die Zeiten sind hart - du kannst es sehen, wenn du aus dem Fenster schaust.«
Vilge nickte.
Sie hatte schon bemerkt, daß sich der Belagerungsring um Narein noch fester zusammengezogen hatte. Die ersten Katapulte waren aufgebaut und wurden schußfertig gemacht. Morgen früh würde der Kampf beginnen, bei Morgengrauen.
»Komm«, sagte Vilge.
Mythor folgte ihr. Sie suchten den Burghof auf, wo Vilge den Knechten und Mägden Befehl gab, ihren Ballon zu rüsten.
»Du willst fort?«
Swige war erschienen, wohl um sich anzusehen, was der Gegner an diesem Abend vielleicht noch zu unternehmen gedachte.
»Ich will zu meiner Klause«, erklärte Vilge. Einen Augenblick lang wirkte sie betroffen. »Er will mich begleiten -
Weitere Kostenlose Bücher