Mythor - 104 - Inscribe die Löwin
aus, über die er eine dünne Lederdecke gebreitet hatte. Der dicke wollene Mantel diente als Decke, und in der Nähe glomm das kleine Feuer.
Irgendwo heulte ein Wolf.
Gaphyr kümmerte sich nicht um diesen Laut, der bänglichen Gemütern eine Gänsehaut bescheren konnte – besonders wenn, wie in diesem Fall, in erschreckender Nähe ein zweiter Wolf das Heulen beantwortete.
Gaphyr war fast eingeschlafen, als ihn ein Laut hochfahren ließ, der in einem nächtlichen Wald nichts zu suchen hatte.
Ein Mensch hatte gehustet.
Gaphyr drehte sich auf den Rücken und richtete sich auf. Sein Blick durchforschte die Dunkelheit. Sorgfältig achtete er darauf, nicht in die Flammen zu sehen – wer das tat, konnte beim Weggucken auf den Wald nichts mehr erkennen.
Dann sah er die Gestalt näher kommen, lautlos, als schwebte sie über den Boden. Weiße Nebelfäden wehten von dem Körper des Nahenden und verloren sich im weißen Gespinst des Abendnebels.
»Sieh an«, sagte Gaphyr halblaut. »Ein Gespenst.«
Im Näherkommen war die Gestalt besser zu sehen. Ein Mann, jung noch, von der Gestalt her fast ein Knabe. Aber die Züge des bartlosen Gesichts sahen nach viel Erfahrung aus. Die blauen Augen sahen gleichmütig drein.
Das gespenstische war die Lautlosigkeit dieser Erscheinung, dazu der Umstand, daß die Füße des Mannes nicht zu erkennen waren. Sie verschwanden in weißen Nebelschwaden, die – so sah es einen Augenblick lang aus – aus dem Körper des Fremden herauszuwehen schienen. Der Mann hatte helle, fast weiße Haare, die lang herabfielen auf die Schultern und sich in den Nebeln verloren, die den Mann umwallten.
»Willkommen«, sagte Gaphyr. Das Heulen eines Wolfes durchschnitt die Stille. Das Tier mußte in der Nähe sein.
»Ich bin Gruulx«, sagte der Fremde. Er blieb am Rand der Lichtung stehen.
»Gaphyr«, stellte sich der Eherne vor. »Du haust in diesem Wald?«
»Ich bin überall zu Hause«, sagte der Weiße. Er streckte die Hände aus, als wolle er sich am Feuer wärmen, aber Gaphyr glaubte sehen zu können, wie Nebel aus seinen Fingerspitzen quollen, herabsanken auf die Flammen und sie verkleinerten.
»Was tust du hier?« fragte Gaphyr.
»Ich schweife umher«, sagte Gruulx. Er hatte eine ruhige, klare Stimme. Und wieder heulten die Wölfe. Es mußte ein ganzes Rudel sein – und in der Nähe.
Gaphyr hockte sich neben das Feuer.
»Kennst du diese Landschaft?«
»Ein wenig«, sagte Gruulx. Er wich ein wenig zurück, als Gaphyr sich ans Feuer hockte.
»Ich suche den Hain von Bulkher«, sagte Gaphyr. »Den Wald, in dem die Finsterzwerge leben.«
»Ein schrecklicher Ort«, sagte Gruulx gedankenverloren. »Kein Ort, den man aufsuchen sollte, aus welchem Grund auch immer.«
»Du kennst den Hain?«
»Ich war dort«, sagte Gruulx.
»Kannst du mir den Weg dorthin weisen?«
Gruulx sah den Ehernen unverwandt an. Der hielt dem prüfenden Bück stand.
»Was willst du in dem verrufenen Hain?«
Gaphyr sah keinerlei Veranlassung, dem seltsamen Fremden Auskunft zu geben. Der Mann war ihm unheimlich. Vor allem war Gaphyr aufgefallen, daß die Zähne des Mannes in der Nähe des Zahnfleisches schwarz umsäumt waren, als hätte er etwas Blutiges gegessen.
»Das ist meine Sache«, versetzte Gaphyr. Er warf noch ein paar Handvoll Reisig in das Feuer. Die Flammen züngelten höher, und Gruulx wich ein wenig zurück, als fürchtete er die Hitze.
»Wenn du in diese Richtung wanderst«, sagte Gruulx und deutete mit der Hand, »dann wirst du dein Ziel erreichen.«
»So nahe ist Bulkher?«
»Warte es ab«, sagte Gruulx. Er neigte ein wenig den Kopf, als wollte er dem Heulen der Wölfe lauschen.
»Es ist kein normaler Weg, so viel kann ich verraten.«
»Und was ist das Gegenteil von normal?« fragte Gaphyr.
»Magie«, sagte Gruulx nur.
»Das wird sich zeigen«, versetzte Gaphyr. Er war rechtschaffen müde, und dieser maulfaule Fremdling war ein wenig ergiebiger Gesprächspartner. Gaphyr streckte sich neben dem Feuer auf dem Boden aus.
»Ich möchte schlafen«, sagte er ruhig und gähnte und reckte sich.
»Ich werde über deinen Schlaf wachen«, versprach Gruulx sanft.
»Tu das«, sagte Gaphyr. Wenig später war er eingeschlafen.
*
Als er erwachte aus langem, traumwirrem Schlaf, war er allein. Gruulx war verschwunden, aber das Feuer, das noch immer Glut enthielt, bewies, daß der seltsame Mann den Lagerplatz erst vor kurzer Zeit verlassen haben konnte.
Gaphyr reckte und streckte sich.
Dabei fiel sein Blick
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