Mythor - 104 - Inscribe die Löwin
emsige Durcheinanderquirlen der Gestalten sprach Bände.
»Ich muß mich sputen«, sagte Gaphyr schnaufend. Der Anstieg hatte ihn erschöpft. Nun, bergab sollte es viel leichter gehen.
Er täuschte sich.
Der Weg war sehr schwierig, und er ließ sich weder verkürzen noch beschleunigen, wenn er nicht riskieren wollte, abzustürzen und in einer Felsspalte liegenzubleiben. Die Aussicht auf gebrochene Knochen konnte den Ehernen nicht erschrecken, wohl aber die Wahrscheinlichkeit, daß er dann aus Zeitgründen nicht mehr sein Ziel erreichen konnte.
Es galt infolgedessen genau abzuwägen, welches Risiko er eingehen wollte.
Gaphyr kletterte und kroch, er übersprang einige Spalten mit Anlauf, wo die anderen sich wesentlich mehr Zeit gelassen hatten.
Ab und zu konnte er das Schiff sehen, durch Nebelfetzen hindurch, die, wie zum besonderen Ärger für Gaphyr geschaffen, die Felsen umwehten. Die Menschen arbeiteten noch immer emsig.
Weiter hinab ging der Weg, und immer größer wurden die Wagnisse, die Gaphyr einging.
In ihm loderte die Angst, zu spät zu kommen und auf diesem unwirtlichen Felsen in einer alptraumhaften Szenerie für alle Zeit festzusitzen. Diese Angst beflügelte und hemmte ihn zugleich.
An einem Felsen mußte Gaphyr eine Pause einlegen, seine Lungen rasselten, er bekam kaum noch Luft.
Sie konnten ihn nicht sehen, das war das ärgste, und seine Stimme trug nicht soweit. Es war zum aus der Haut fahren.
Gaphyr atmete tief durch. Sein Herz hämmerte, und seine Beine schmerzten entsetzlich vor Erschöpfung.
Gab es eine Abkürzung?
Gaphyr lugte über den Felsen hinweg in die Tiefe.
Es gab einen Weg. Er führte senkrecht in die Tiefe. Mit etwas Glück kam er so auf, daß er nach ein paar Minuten wieder voll aktionsfähig war. Dann hatte er nur noch ein paar hundert Schritte zu laufen.
Gaphyr zögerte nicht lange.
Er ging zwei Schritte zurück, nahm Anlauf und sprang so weit er konnte. Das gräßliche Gefühl des Falles durchraste seinen Magen, dann trat die Verwandlung ein.
Als er wieder zurückfand, schmerzte sein Rücken – er lag auf einem spitzen Stein, der sich in das Fleisch unter der linken Schulter bohrte. Heftig richtete sich Gaphyr auf. Er stieß einen Fluch aus.
Das Schiff war dabei abzulegen.
Gaphyr kam auf die Füße und rannte los. Es würde Zeit kosten, bis das Schiff außer Sichtweite war, die letzte Chance für den Ehernen, eine entsetzliche Strandung im Nirgendwo zu verhindern.
Er erreichte die Küste, und er sah, daß er verloren hatte. Aus eigener Kraft hätte das Schiff niemals so schnell die Küstenlinie verlassen können, aber die Besatzung hatte Hilfe bekommen.
Fluggeschöpfe – Gaphyr wünschte ihnen alle nur denkbaren Pestilenzen ans Gefieder – hatten am Bug des Schiffes Seile befestigt und setzten ihre großen Schwingen dazu ein, das Schiff vom Land abzuziehen. Es erreichte so eine erheblich größere Geschwindigkeit, als Gaphyr angenommen hatte.
»Heda!« schrie er, die Hände trichterförmig vor den Mund gelegt.
Er hätte vielleicht noch eine geringe Chance gehabt, aber in diesem Augenblick verschwand das Schiff in einer Nebelbank. Vielleicht hatte man ihn gehört?
Er schrie noch einmal mit aller Kraft, aber das Schiff erschien nicht mehr.
Gaphyr sank am Ufer zusammen. Er war zerschlagen, erschöpft und tief verzweifelt.
»Elende Wetterei«, murmelte er. Das Glück schien ihn nun zur Gänze verlassen zu haben.
Während er auf dem Rücken lag und darauf wartete, daß sich sein Herzschlag wieder beruhigte, überlegte er, was er nun tun könnte.
Er konnte einfach ins Nichts springen, auf seine Verwandlung vertrauend. Er konnte warten, bis jemand kam, der ihn abholte. Er konnte auch den beiden nachgehen – ihm war eingefallen, daß die beiden einen sehr ruhigen Eindruck gemacht hatten. Vielleicht hatten sie mehr gewußt… Gaphyr begann leicht zu grinsen. Sein Optimismus kehrte langsam wieder.
Noch hatte er sich nicht aufgegeben, irgendwo gab es immer eine Möglichkeit, sich durchzuschlagen.
Von plötzlicher Zuversicht erfüllt, rollte er sich am Strand zusammen und schlief beruhigt ein.
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