Mythor - 104 - Inscribe die Löwin
Brodeln.
Oder mit Gewalt den Wölfen entgegen?
Gaphyr entschied sich für den ersten Weg. Er nahm einen kurzen Anlauf und sprang.
Es war ein scheußliches Gefühl.
Er fiel und fiel und fiel – es kam ihm vor, als nehme das Fallen schier kein Ende. Dann aber kam das Schwarz der Gewitterwolke immer näher, und gleichzeitig drang ein furchtbares Brausen und Dröhnen an seine Ohren.
Gaphyr verwandelte sich.
Als er wieder zu sich kam, lag er in einem ausgedehnten Nebelgebiet auf festem Boden, und ringsum war es ruhig.
»Seltsam«, murmelte Gaphyr. »Das soll alles gewesen sein?«
Es war eine beklemmende Stimmung, nicht recht Tag, keine Dämmerung, erst recht keine Nacht – die Stimmung hatte etwas Unwirkliches, von dem eine lautlose, sehr eindringliche Drohung ausstrahlte.
»Wo, bei allen Finsterzwergen, bin ich herausgekommen?« fragte sich der Eherne.
Er hielt Ausschau nach den Wölfen, aber die zeigten sich nicht. Dann entdeckte Gaphyr, daß es ringsum nicht das kleinste grüne Hälmchen gab, und diese Erkenntnis erschütterte ihn sehr.
Von einem Hain konnte folglich nicht die Rede sein. Gaphyr begriff, daß man ihn hereingelegt hatte, daß er noch sehr lange würde suchen müssen, bis er diesen Hain fand – falls es ihn überhaupt gab.
»Arme Yrthen«, sagte Gaphyr bedrückt. Das Mädchen aus der Herberge tat ihm leid. Sie würde lange warten müssen.
Und dann sah Gaphyr die Frau…
4.
Angelegentlich studierte Robbin die Karte.
Er tat gut daran, fand Mythor, denn der Kurs der Phanus war einstweilen ruhig und sicher. Die Strömung trieb das erbeutete Hausboot gemächlich und ruhig. Es gab keinerlei Aufregung an Bord – offenbar gönnten die Schicksalsmächte den arg gebeutelten Frauen und Männern eine Verschnaufpause.
Sorgen hatten die insgesamt siebenundzwanzig Personen an Bord nicht. Von der Luscuma hatte man ein Salzfaß mitgenommen, eines mit Pökelfleisch und ein Wasserfaß. Niemand brauchte vorerst Hunger oder Durst zu leiden.
Der Haryienstock Zarien lag schon ein Stück zurück.
»Ein wenig nach rechts«, riet Robbin, ohne dabei aufzusehen. Offenbar konnte er die Strömung gleichsam hören oder wittern. Der Pfader machte seine Sache jetzt gut – die schreckliche Pechsträhne, die ihn beim Honker-Land geplagt hatte, schien jetzt endlich der Vergangenheit anzugehören.
Es war auch höchste Zeit dafür geworden – Mythor wollte endlich einen aktiven Vorstoß ins Unbekannte wagen, selbst das Heft des Handelns in die Hand bekommen, nicht länger nur Spielball sein.
»Nun, kannst du etwas finden?« fragte Mythor den Pfader.
Robbin machte eine ausweichende Geste.
»Du suchst nach Carlumen? «
»Ich versuche es«, gab Robbin zu. »Aber auf dieser Karte finde ich keinen verständlichen Hinweis auf Caerylls Stadt.«
»Und was sagt man in der Schattenzone über Carlumen? «wollte Mythor wissen.
»Dies und das«, antwortete Robbin.
»Sehr erschöpfende Auskunft«, bemerkte Mythor lächelnd. Robbin hatte wieder einmal keine Lust, seine kostbaren Kenntnisse herauszurücken. Nur gegen knisterndes Salz waren die Pfader bereit, von ihren Wissensschätzen etwas abzugeben.
»Es gibt der Legenden viele«, sagte Robbin einmal sehr ausweichend. »Eine davon behauptet sogar Carlumen sei vernichtet, von Dämonen restlos zerstört.«
»Und du glaubst das?«
»Würde ich sonst diese Karte durchpfaden?« fragte Robbin beleidigt. »Nein, ich will und werde das Schicksal dieser Stadt klären. Man muß dazu nur ein wenig herumstreifen, Pfader befragen, dabei mit Salz nicht kleinlich sein…«
»Wären wir das je gewesen?«
»Bis jetzt nicht«, gab Robbin ehrlich zu. »Und bei anderen Lebewesen der Schattenzone wird das köstliche Salz ebenfalls seine Wirkung tun. Wir werden es schon herausbekommen – möglicherweise müssen wir Inscribe befragen.«
»Die tanzende Löwin?«
»Genau die«, bestätigte Robbin. »Vieles weiß sie, kostbarer Erkenntnisse ist sie kundig – und gefährlich ist sie auch.«
Mythor mußte an jene Frauengestalt denken, die er in einem von Siebentags Körpergemälden entdeckt hatte – eine Gestalt halb Weib halb Löwin.
»Wegen des DRAGOMAE-Bausteins?«
»Wegen mancherlei Dingen«, plauderte Robbin aus. »Sie ist doppelt gefährlich – Weib und Löwin zugleich, und wer sich ihre Gunst verscherzt, ist ihr unrettbar verfallen, und damit dem Tode.«
»So arg wird es wohl nicht werden«, sagte Mythor.
Robbin deutete durch seine Miene an, daß er Mythors Unbeschwertheit nicht
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