Mythor - 119 - Das sterbende Land
im Kreis treiben, bis alle Bewohner gerettet sind. Ich werde selbst die Rettungsaktion leiten.«
Fronja merkte, wie wichtig ihm die Sache war. Ohne Fragen zu stellen, eilte sie davon, um seine Befehle auszuführen.
»Sadagar!« rief Mythor den Steinmann, und der war sogleich zur Stelle. »Ruf alle Carlumer zusammen und versuche, alle Möglichkeiten zur Rettung dieser Menschen auszunützen. Fischt sie mit den Segeln und Netzen auf, werft Seile hinunter und laßt die Körbe ab.«
»Wird gemacht«, versprach Sadagar. »Aber diese Nomaden machen einen verwirrten Eindruck, wer weiß, ob sie sich helfen lassen.«
»Dann werden wir sie zwingen«, sagte Mythor. »Ich werde selbst mit einem Drachen hinunterfliegen und mit ihnen reden.«
»Mythor, das ist zu gefährlich…«, versuchte der Steinmann einzuwenden.
Aber Mythor schnitt ihm das Wort mit einer herrischen Handbewegung ab.
»Ich verlasse mich auf dich, Sadagar«, sagte er und verließ das Bugkastell. Er begab sich zu den Beibooten an Steuerbord und wählte einen der Flugdrachen aus. Nachdem er ihn auseinandergeklappt und seine Arme in den Halterungen an den Flügeln untergebracht hatte, stürzte er sich in die Tiefe.
Gleich darauf war die Staubwolke, die die Yarls aufwirbelten, heran und verschluckte ihn. Mythor steuerte den Drachen in einer steil nach unten führenden Kurve auf ein Tier im Mittelpunkt der Herde zu, weil sich dort die meisten Nomaden befanden.
Es war Mythor nicht entgangen, daß die Nomaden versuchten, über schwankende Stege und gespannte Seile auf diesen einen Yarl überzuwechseln. Offenbar handelte es sich dabei um das Tier ihres Anführers oder Schamanen, bei dem sie nun Zuflucht suchten. Aber nicht alle erreichten ihr Ziel. Mythor beobachtete, wie ein älterer Mann von einem schwankenden Steg stürzte und in dem Spalt zwischen den Rückenpanzern der beiden Yarls verschwand.
Die Nomaden stoben mit lautem Geschrei auseinander, als Mythor auf einem freien Platz zwischen den Gebäuden aufsetzte. Er lief einige Schritte mit, um die Geschwindigkeit allmählich zu drosseln, konnte jedoch nicht verhindern, daß er mit einem Flügel gegen ein Gebäude schlug. Der Flügel brach, und der Drachengleiter war somit unbrauchbar.
Aber daran verschwendete Mythor keinen Gedanken. Er dachte nur daran, diese verstörten Menschen zu retten.
*
Das Licht lastete auf ihnen wie ein Alpdrücken, und es wollte kein Ende nehmen. Da war nirgends ein Fleckchen gnädiger Düsternis. Über ihnen spannte sich ein heller, weiter Himmel, in den zu blicken kein Rohne wagte.
Als Proscul einmal den Blick gehoben hatte, meinte er, von dieser Unendlichkeit verschluckt zu werden. Er hatte sich daraufhin zu Boden geworfen und war auf allen vieren in Jercels Haus gekrochen.
»Welche Strafe kommt über uns?« jammerte Jercels Weib Ejoba. »Ist das das Lichte Land, das Goolux uns versprochen hat?«
»Ich habe es gewußt«, sagte Jercel.
»Ich habe es gewußt, daß das Licht uns verbrennen wird.«
»Wir werden uns daran gewöhnen«, sagte Proscul. »Wir werden unsere Angst vor der Helligkeit und der Weite ablegen und lernen im Licht von Heluma zu baden.«
Doch das waren leere Worte gewesen, an die er selbst nicht glauben wollte. Als die Düsternis zurückgewichen war, die Wasserflut verebbte, versickerte und verdampfte, hatten sich die Yarls in Bewegung gesetzt. Sie waren immer schneller geworden und geradewegs in das weite, grenzenlose Land hinausgestürmt, und kein Yarlame konnte sie zügeln. Was sie auch versuchten, die Yarls gehorchten ihnen nicht.
Die Yarl-Führer hatten bald eingesehen, daß sie die Tiere nicht mehr bändigen konnten, und bald waren sie selbst außerstande, die Zügel und Staken zu bedienen. Das Lichtfieber hatte sie gepackt, sie und alle anderen Rohnen.
Das Licht verwirrte ihren Geist und narrte ihre Sinne. Die ungewohnte Hitze setzte ihnen zusätzlich zu. Ihre von der Düsternis gebleichte Haut begann sich zu röten, verbrannte förmlich in der Luft der lichten Welt.
Die Rohnen erkannten, daß der Schamane Tombul sie schlecht beraten hatte. Sie wandten sich ab von ihm und flohen den Bezirk Hoomassa über rasch gespannte Hängebrücken und Stege, und wo solche nicht errichtet wurden, genügten auch einfache Seile. So mancher Rohne; von der Helligkeit geblendet und vom Lichtfieber geschüttelt, verlor dabei durch einen einzigen Schritt das Leben.
»Jercel, führe uns zurück in die Düsterzone«, flehten die Rohnen. Aber Jercel war außerstande,
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