Mythor - 119 - Das sterbende Land
euer Heluma«, erklang die zischelnde Stimme der Schlange Yhr, aber sie selbst ließ sich nicht blicken. »Ihr habt mir euren Willen aufgezwungen. Aber meine Stunde schlägt schon noch.«
Mythor hörte nicht hin. Er war froh, daß sich seine Befürchtungen nicht bewahrheitet hatten. Und er war froh, nach über 150 Tagen in der Schattenzone endlich wieder in der Lichtwelt sein zu dürfen. Etwas fiel wie eine schwere Last von ihm ab, und er verspürte unsägliche Erleichterung. Er schloß Fronja in die Arme, drückte sie an sich und küßte sie leidenschaftlich.
»Ist das eine Ruhe und ein Friede«, sagte er, führte Fronja ans Geländer und blickte mit ihr in die Weite der Lichtwelt hinaus. Seine Augen konnten sich nicht sattsehen. Unter ihnen zog sich eine trostlose, kaum bewachsene Ebene dahin, nur unterbrochen von Kratern, die herabfallende Himmelsteine geschlagen hatten. Sie erstreckte sich hinter Carlumen bis zu der verwaschenen Wand der Düsterzone, die hoch in den Himmel ragte und die um diese Jahreszeit tief stehende Sonne verdeckte.
»Das ist Gorgan, die Lichtwelt hat uns wieder«, frohlockte Mythor. Er merkte nicht, daß Fronja an seiner Seite weit davon entfernt war, seinen Freudentaumel teilen zu können. Für sie war Lichtwelt nicht gleich Lichtwelt. Dies war Gorgan, ihre Heimat aber hieß Vanga. Sie freute sich wohl über den glücklichen Ausgang dieses Abenteuers, aber sie war auch nachdenklich.
»Was ist das?« Gerrek deutete auf die Ebene hinunter, die sich einige Turmhöhen unter ihnen nach Norden, bis fast an den Horizont erstreckte. Dort war eine Staubwolke zu sehen. Als sich die Staubwolke etwas lichtete, gab sie den Blick auf eine Reihe riesenhafter Tiere frei, die nur aus dieser Entfernung klein wirkten.
»Das müssen Yarls sein«, behauptete Sadagar mit zusammengekniffenen Augen. »Aber was tragen sie auf den Rücken?«
»Eine Nomadenstadt, auf den Rückenpanzern von Yarls gebaut«, erklärte Mythor, und ein eigenartiges Gefühl bemächtigte sich seiner. »Die Yarls rasen dahin, als seien Dämonen hinter ihnen her. Wir fliegen ihnen nach!«
5.
Carlumen flog in die Staubwolke ein und überholte die Yarls seitlich. Es mochten zwanzig ausgewachsene Tiere sein. Die Gebäude und Wehren auf ihren Rücken bestanden hauptsächlich aus leichten, vermutlich hohlen Rundhölzern, die Fugen waren mit einer lehmartigen Masse verschmiert. Zwischen den Gebäuden waren vereinzelte Menschen in groben Gewändern zu sehen. Sie irrten wie blind umher, rannten gegen im Wege stehende Hindernisse und stießen miteinander zusammen.
Manchmal schlugen sie aufeinander wie Rasende ein, dann wieder flohen sie voreinander.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte Fronja. »Es scheint, als seien diese Leute allesamt besessen.«
»Die Yarls sind es«, antwortete Mythor. »Sie scheinen von Finstermächten beherrscht zu sein und werden solange dahinrasen, bis sie erschöpft zusammenbrechen oder…«
Mythor unterbrach sich, als er nach vorne blickte und sah, daß die trostlose Ebene an einem wild schäumenden Meer endete.
»Was hast du?« fragte Fronja.
»Wir müssen verhindern, daß sich die Yarls mitsamt ihren Bewohnern ins Meer stürzen«, sagte er. »Wir müssen diese Menschen retten. Sie dürfen nicht dasselbe Schicksal erleiden wie die Marn von Churkuuhl.«
Mythor glaubte, das alles schon einmal erlebt zu haben. Die Szene erschien ihm wie eine Wiederholung der Geschehnisse von vor zweieinhalb Jahren. Nur hatte er sie damals nicht aus der Vogelperspektive beobachtet, sondern hatte sich selbst auf einem der rasenden Yarls befunden.
Er vermeinte die Entsetzensschreie der Marns zu hören und das vergebliche Bemühen der Yarl-Führer zu sehen, die die Schildechsen anzuhalten versuchten. Aber die Churkuuhl-Yarls steuerten unaufhaltsam der Steilküste am Meer der Spinnen zu und stürzten sich mit der Nomadenstadt und all ihren Bewohnern in das von Ungeheuern bevölkerte Gewässer. Die wenigen Überlebenden waren daraufhin von den Tainnianern niedergemacht worden… Mythor, selbst kein Marn, sondern nur das Findelkind von Curos und Entrinna, hatte als einziger überlebt.
Er verscheuchte diese schrecklichen Erinnerungen, er durfte nicht zulassen, daß sich das Schicksal der Marns an diesen Yarl-Nomaden wiederholte.
»Fronja«, sagte er zu seiner Gefährtin, »begib dich zu Nadomir auf die Brücke. Versucht, den Yarls mit Carlumen den Weg abzuschneiden und sie abzudrängen. Vielleicht können wir sie stoppen oder solange
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