Mythos Ueberfremdung
wohlüberlegte, bewusste Entscheidung investiert haben. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schrieb in einer Untersuchung solcher Wanderungsbewegungen: »Migration ist weniger eine verzweifelte Reaktion auf bittere Armut, sondern im Allgemeinen eine bewusste Entscheidung relativ wohlhabender Personen und Haushalte zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse.« Die Zahl der Menschen, die aus solchen Ländern »fliehen«, ist gering: Flüchtlinge und Asylbewerber machen meist nur wenig mehr als 5 Prozent der weltweiten Migration aus. Die meisten Einwanderer kommen aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen in ein neues Land, und für arme Muslime aus Afrika sind die westlichen Länder im Allgemeinen nicht die erste Wahl. Die IOM-Untersuchung hielt fest, dass 62 bis 80 Prozent der 65 000 bis 120 000 Afrikaner aus den Ländern südlich der Sahara, die Jahr für Jahr gen Norden ziehen, in Nordafrika nach einer Arbeit suchen. 30 Araber aus den Ländern des Nahen Ostens zieht es viel eher in die Türkei oder in die reicheren Staaten am Persischen Golf, nur eine kleine Minderheit will nach Europa.
Wenn der Westen tatsächlich überwältigt wird, dann nicht von Muslimen. Europas Anteil an Muslimen ist klein, obwohl der Kontinent von islamischen Ländern »eingekreist« ist und zeitweise eine hohe Zahl von Einwanderern aufnimmt. Spanien ist nur durch eine schmale Meerenge von der arabischen Welt getrennt, und dennoch sind nur 13 Prozent der jährlichen Einwanderer Muslime – die Mehrheit der legalen wie der illegalen Einwanderer kommt, angezogen von der sprachlichen Verwandtschaft, von der anderen Seite des Atlantiks oder aus Rumänien. In Großbritannien sind nur 28 Prozent der Einwanderer Muslime. Wenn eine religiöse Gemeinschaft Großbritannien übernimmt, sind das die Katholiken, die die Anglikaner beim Kirchenbesuch schon vor Jahrzehnten überholten.
Weniger als 15 Prozent der Einwanderer in Deutschland sind Muslime – so intensiv die Debatte über die Türken auch geführt werden mag –, eine sehr viel größere Gruppe kommt aus Osteuropa. Frankreich ist das einzige europäische Land, dessen Einwanderer zum größten Teil Muslime sind (68,5 Prozent), was vor allem daran liegt, dass viele von ihnen noch vor gut einer Generation, als Algerien und Tunesien von Frankreich beherrscht wurden, französische Staatsbürger waren. 31 Außerdem nimmt der muslimische Anteil an den Einwanderern nicht zu, und es ist unwahrscheinlich, dass sich dies in Zukunft ändern wird. Die arabischen Revolutionen von 2011 sorgten nicht für eine starke Zunahme der Einwanderung aus den Ländern südlich des Mittelmeers, die von den Medien vorhergesagt worden war; abgesehen von einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen in den ersten Monaten des Jahres, fielen diese Aufstände mit einem Rückgang der Einwanderung nach Europa aus der betroffenen Region zusammen. 32
Die Stadtbezirke mit hohem Migrantenanteil in Belgien, den Niederlanden und Skandinavien, die zum Thema so vieler Eurabien-Bücher wurden, erleben heutzutage eine neue Einwandererwelle von Polen, Rumänen und Russen. Antimuslimische Politiker wie Geert Wilders verlegen allmählich den Schwerpunkt ihrer Ängste auf die neue »slawische Flut«. Einwanderung ist kein muslimisches Monopol und ganz gewiss keine islamische Verschwörung. Aber weil Muslime oft sehr gut wahrnehmbar und oft auch umstrittener sind als andere Migranten, verleitet uns ihre Präsenz zu der Annahme, dass sie viel zahlreicher seien als in Wirklichkeit. Und manchmal muss wohl irgendetwas mit uns nicht stimmen.
BEHAUPTUNG: Ein atheistischer, sozialistischer, von Sozialhilfe abhängiger Westen hat den moralischen Willen eingebüßt, sich fortzupflanzen und sich einer Übernahme durch den Islam zu widersetzen.
»Die spirituelle Geschmacklosigkeit, die islamische Einwanderer in den modernen westlichen Ländern wahrnehmen, ist nicht eingebildet. Bei der Bewahrung der eigenen Kultur ist sie vielleicht Europas größte Belastung. […] Wenn eine unsichere, formbare und relativistische Kultur auf eine Kultur trifft, die einen festen Halt hat, zuversichtlich ist und durch gemeinsame Grundsätze gestärkt wird, verändert sich im Allgemeinen die Erstere mit dem Ziel, sich der Letzteren anzupassen.«
Christopher Caldwell
»Es geht hier um […] die größeren Kräfte, die in der entwickelten Welt wirken und Europa als zu sehr geschwächt erscheinen lassen, um der unbarmherzigen Umwandlung in ein Eurabien
Weitere Kostenlose Bücher