Mythos Ueberfremdung
ebenso irreführende Mär von der bevorstehenden gewaltigen Flut an unseren Grenzen hinzugefügt.
BEHAUPTUNG: In Zukunft werden sehr viel mehr Einwanderer Muslime sein.
»Eine jugendliche Gesellschaft im Süden und Osten des Mittelmeers wartet nur darauf, ein alterndes Europa zu, ja, kolonialisieren – der Ausdruck ist nicht zu stark.«
Niall Ferguson
»Massive Einwanderung aus den armen in die reichen Länder ist nicht die Angelegenheit von ein paar kriminellen Rädelsführern, die gegen die Spielregeln verstoßen. Sie ist das eigentliche Spiel, und es ist kein Ende abzusehen. Je weiter Europa den Ausgangspunkt hinausschiebt, desto größer wird der Kreis derer, die sich als unmittelbare Nachbarn betrachten. […] Sie betreiben das mit tödlichem, verzweifeltem Ernst und stellen ihre Ansprüche an einen Kontinent, der von Menschen bewohnt wird, für die das nicht gilt.«
Christopher Caldwell
Zwei Jahre nachdem der Zusammenbruch des Subprime-Schrotthypothekenmarktes in den USA eine Reihe von Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen ausgelöst hatte, er reichten die Auswirkungen der Rezession die von der Sonne beschienenen Weiten des Atlantiks vor der nordwestafrikanischen Küste. Dort stellten die Besatzungen der »Frontex«-Schiffe, die im Auftrag der »Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen« in den internationalen Gewässern vor der West-Sahara nach illegalen Einwanderern Ausschau hielten, plötzlich fest, dass sie nicht mehr gebraucht wurden: Die Menschen sprangen dort nicht mehr auf notdürftig zusammengebaute Flöße, um nach Europa zu fliehen. Vor 2008 hatten die Patrouillen versucht, jährlich fast 32 000 Menschen (die meisten von ihnen waren Muslime) von der oft tödlich endenden Seereise zu den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln abzuhalten. Die Zahl dieser Menschen fiel 2009 auf etwa 7 000. Ein Jahr später versuchten nur noch 2 165 Personen, von der afrikani schen Küste zu den Kanaren zu gelangen. 27 Die Zahl der ille galen Einwanderer ging insgesamt und europaweit um zwei Drittel zurück. Mindestens 232 000 Einwanderer verließen Spanien in den Jahren 2008 und 2009 sogar, weil Arbeitsplätze verlorengingen.
In den Vereinigten Staaten zeitigte die Krise noch dramatischere Auswirkungen. Die Einwandererzahlen fielen ins Bodenlose, und so viele Einwanderer verließen das Land – nicht nur in Richtung Lateinamerika, sie gingen zum Beispiel auch nach Afrika –, dass die Zahl der im Ausland geborenen Einwohner der Vereinigten Staaten 2008 und 2009 tatsächlich abnahm – zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. 28 Einige Beobachter bezeichneten diese Entwicklung als weltweite Einwanderungspause.
Die Auswirkungen der Rezession auf die Einwanderung lehrten uns zwei Dinge. Erstens nehmen – legale oder illegale – Einwanderer nicht das Risiko auf sich, Geld für den Zutritt zu einem fremden Land auszugeben, nur um dort leben und Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können. Sie kommen in erster Linie, um sich am Wirtschaftsleben zu beteiligen. Zweitens lernten wir, dass die Menschen – so verlockend die Metapher auch klingen mag – nicht einfach aus armen, übervölkerten Ländern in die nächstgelegenen wohlhabenden Staaten strömen. Migration hängt von kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen ab. Die ehemaligen kolonialen Beziehungen veranlassen zum Beispiel Pakistaner, Inder und Bangladescher, Großbritannien als Hauptziel zu wählen, Algerier und Marokkaner zieht es dagegen vor allem nach Frankreich. Türken gehen nicht einfach in größerer Zahl nach Bulgarien und Griechenland, auch nicht nach Ungarn oder in die Slowakei, sondern eher über die Alpen nach Deutschland. Sie folgen keinem Invasionspfad, sondern einer wirtschaftlichen Verbindung, die von den Regierungen beider Länder geknüpft wurde.
Selbst echte Flüchtlinge suchen selten hinter der nächsten Grenze Schutz: Sie gehen das Risiko ein, viele Grenzen zu überqueren, um in das sicherste Land zu gelangen. Viele Iraker, die vor Saddam Hussein flohen, gingen den weiten Weg bis nach Australien. Migranten, selbst die verzweifelten, su chen für ihre Familien nicht nach der bequemsten Reise, son dern nach der sichersten Lösung, wenn diese Reise beendet ist. 29 Menschen, die aus den westafrikanischen Staaten mit ihren enorm hohen Geburtenraten weggehen, sind keine in Panik fliehenden, verzweifelten Armen, es sind Menschen, die etwas gespart und diese Ersparnisse dann in eine
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